Hannover wird autofrei

Fahrrad; Mobilität; HAnnover
Mehr Rad- und Fußverkehr in der Innenstadt: Das gehört zu den Zielen des Hannoveraner Mobilitätskonzeptes. Dafür soll die Innenstadt über zwölf Velorouten angebunden werden. Foto: Adobe Stock/SayLi

Die niedersächsische Landeshauptstadt macht ernst mit der Transformation. Kaum Autos in der Innenstadt und breite Straßen, die zum Flanieren einladen – das ist die Vision im neuen Mobilitätskonzept. Stadtbaurat Thomas Vielhaber erläutert, was sich bis 2030 am Stadtverkehr ändern soll.

Die Stadt Hannover hat vor Kurzem ein neues Mobilitätskonzept erarbeitet. Warum wollten Sie den Stadtverkehr neu denken?

Thomas Vielhaber: Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens: Hannover ist traditionell eine starke Einkaufsstadt. Das hat lange gut funktioniert, wird nun aber problematisch, unter anderem weil sich das Einkaufsverhalten geändert hat: Jüngere gehen weniger in die Innenstädte, sondern greifen verstärkt auf den Onlinehandel zurück. Zur Orientierung haben wir uns andere erfolgreiche Städte in Europa angeschaut. Hier sind die Innenstädte grüne und urbane Orte zum Wohnen und Leben, für Handel und Wirtschaft, Kultur und Freizeit. Diese Vielfalt streben wir auch in Hannover an. Zweitens: Hannover wurde in der Wiederaufbauphase sehr autoorientiert ausgerichtet. Der damalige Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht brachte viele Ideen aus den USA mit. Im Ergebnis umspannt ein teils sechsspuriger Cityring die Innenstadt, dessen Trennwirkung zu den Stadtquartieren wir wieder aufheben wollen.

Welche Ziele sind im Mobilitätskonzept festgelegt?

Vielhaber: Unser Fokus liegt auf einer hervorragenden Erreichbarkeit der City mit Bahn und Bus, dem Rad und im Nahbereich auch zu Fuß, als Alternative zum Autoverkehr. In der gewachsenen Stadt betrachten wir den Fußverkehr als Basismobilität, denn alle Verkehrsteilnehmenden sind auch streckenweise Fußgänger. Hier stehen Aufenthaltsqualität und Barrierefreiheit im Fokus. Den Kernbereich zwischen Friedrichswall, Schiffgraben, Hauptbahnhof, Kurt-Schumacher-Straße und Steintor wollen wir weiter aufwerten und in Teilen neu organisieren. Ein weiterer Aspekt ist die Anbindung der Innenstadt über zwölf Velorouten, die sternförmig aus dem Umland in die Innenstadt führen und dort über einen inneren Radcityring zusammengeführt werden. Der ÖPNV soll durch weniger Autos störungsfreier laufen und kann künftig mit dichteren Takten verbessert werden.

Und was ist mit dem Autoverkehr?

Vielhaber: Unser Ziel ist eine weitgehend autofreie Innenstadt, also kein Auto zu viel. Anliegerinnen und Anlieger sind davon ebenso ausgenommen wie der Lieferverkehr. Für Menschen mit Behinderung wird es teils Sonderregelungen geben. Wer von außerhalb mit dem Auto in die Innenstadt kommt, kann die P+R-Angebote in der Peripherie nutzen oder direkt eines der Parkhäuser in der City anfahren. So wollen wir den Durchgangsverkehr aus der Innenstadt draußen halten sowie den Parksuchverkehr und unnötiges Cruisen vermeiden. Die Parkhäuser sind aktuell im Schnitt nur zu rund 50 Prozent ausgelastet – es gibt also genug Kapazität, damit alle, die in der City parken wollen, dort auch unterkommen. Wo Autos in der Innenstadt noch fahren, soll es ein Tempolimit von 30 km/h geben, teilweise auch von 20 km/h. Auf diese Weise werden vor allem Konflikte zwischen Rad- und Autofahrenden vermieden, da das Tempo angepasst ist und weniger Autos überholen.

Wie fallen die ersten Rückmeldungen der Bürgerinnen und Bürger zum Mobilitätskonzept aus?

Vielhaber: Ende September haben wir eine Bürgerversammlung durchgeführt. Dabei waren rund 800 Menschen vor Ort. Nach der Präsentation des Mobilitätskonzeptes wurden viele Fragen geäußert, auch kritische. Unter anderem: Wie ist die Erreichbarkeit der Innenstadt für Mobilitätseingeschränkte gegeben? Kann ich meinen Arzt in der Innenstadt weiterhin anfahren? Einige Bürgerinnen und Bürger haben angeregt, dass als Voraussetzung zunächst der ÖPNV weiter ausgebaut werden müsse. Auch um das Thema Parken und Parkgebühren ging es – wobei das Parken in den Parkhäusern in der Regel günstiger ist als auf der Straße.

Welches Feedback haben Sie von den Gewerbetreibenden und dem Einzelhandel bekommen?

Vielhaber: Die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände interessierte bei der Vorstellung des Mobilitätskonzepts unter anderem, ob und inwieweit die Handwerkererreichbarkeit in der Innenstadt weiterhin gegeben ist. Aus dem Einzelhandelsbereich wurden einige Stimmen laut, die dem Konzept der autofreien Innenstadt kritisch gegenüberstehen. Sie befürchten, so ihre Kundinnen und Kunden zu verlieren, die aktuell mit dem Auto kommen. Es gibt eine große Bandbreite an Meinungen zum Mobilitätskonzept, die Diskussionen finden aber glücklicherweise auf einem konstruktiven Niveau statt.

Wie gehen Sie mit den Einwänden um?

Vielhaber: Bevor das Mobilitätskonzept vom Stadtrat beschlossen wird – voraussichtlich Ende des Jahres –, wird es sicher noch politische Änderungsanträge geben, sodass wir das Konzept ohnehin noch überarbeiten und anpassen werden. Mit Akteuren wie der Citygemeinschaft oder der IHK haben wir uns bereits in mehreren Runden zusammengesetzt, wir sind auch weiterhin mit ihnen im Gespräch und haben angeboten, unser Konzept in ihren Gremien noch einmal zu erläutern und beispielsweise in der Jahreshauptversammlung Rede und Antwort zu stehen.

Wie ist die Finanzierung der Maßnahmen geregelt, die das Mobilitätskonzept vorsieht?

Vielhaber: In der mittelfristigen Finanzplanung sind für die nächsten Jahre Mittel eingestellt, die für den Umbau von Platz- und Straßenräumen in der Innenstadt vorgesehen sind. Zwischen den Projekten, für die wir diese Mittel einsetzen, können wir je nach politischen Beschlüssen noch switchen. Für die Innenstadtentwicklung generell hat Hannover außerdem erhebliche Fördermittel eingeworben, unter anderem im Themenfeld Smart City oder dem EU-Förderprogramm „Resiliente Innenstädte“.

Interview: Hannah Henrici


Zur Person

Thomas Vielhaber (SPD) ist seit 2020 Stadtbaurat der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover.