Sole aus Gurkenwasser kann als umweltfreundliche Alternative zu Streusalz dienen. In Niederbayern ist das bereits gängige Praxis – Verkehrsminister Christian Bernreiter schildert die Erfahrungen mit der ungewöhnlichen, aber wirksamen Methode.
Fragt man den vermeintlich allwissenden Chatbot ChatGPT nach dem Einsatz von Gurkenwasser im Winterdienst, so bekommt man bloß die Antwort: „Ich bin mir nicht bewusst, dass Gurkenwasser im Winterdienst eine gängige oder bekannte Praxis ist.“ Der Chatbot ist nicht gut informiert, denn in der bayerischen Staatsbauverwaltung ist das sehr wohl gängige Praxis. Und zwar schon seit dem Winter 2019/20.
Seither verwenden die niederbayerischen Straßenmeistereien Dingolfing, Abensberg und Landshut des Staatlichen Bauamts Landshut aufbereitete Salzlake aus der Gewürzgurkenproduktion im Winterdienst. Wie es dazu kam? Man könnte von einer Art Nachbarschaftshilfe sprechen. Denn die Betriebsgelände der Straßenmeisterei in Dingolfing und der Firma Develey Senf & Feinkost GmbH liegen direkt nebeneinander.
Die Straßenmeisterei stellt die Sole, die sie in flüssiger Form auf die Straßen aufbringt, im Regelfall selbst her, indem sie Steinsalz in einem Soleerzeuger in Wasser löst. Bei Develey wiederum werden jährlich mehrere tausend Tonnen Gurken zu Gewürzgurken verarbeitet. In einem sechswöchigen Reifungsprozess werden die Frischgurken in Salzlake angesetzt und gegoren.
Abfall als Nachbarschaftsprojekt
Wenn die Gurken in die weiteren Verarbeitungsschritte gehen, bleibt das Salzwasser zurück und kann im weiteren Produktionsprozess nicht wiederverwendet werden. Dieses Prozesswasser muss in der hauseigenen Kläranlage aufwendig behandelt werden.
Vereinfacht gesagt: Die einen hatten bislang genau das entsorgt, was die anderen herstellten. Jetzt aber verwenden die Straßenmeistereien das übriggebliebene Salzwasser von Develey und verringern so die Gesamtmenge an Salz, das in die Umwelt gelangt – eine Win-win-Situation.
Für den Einsatz im Winterdienst wird die Salzlake aus dem Produktionsprozess der Gurkenherstellung von pflanzlichen Bestandteilen gereinigt, aufbereitet und mit Salz angereichert: So soll der erforderliche Salzgehalt von 21 Prozent Natriumchlorid erreicht werden, der für die Winterdienstsole erforderlich ist.
Deutlich weniger Streusalz
Aus den Vorratstanks der Firma Develey erfolgt dann die Zulieferung der gebrauchsfertigen Winterdienstsole in die Soletanks der Straßenmeistereien. Diese wiederum bringen sie mit ihren Winterdienstfahrzeugen in Form von Feuchtsalz oder reiner Sole auf die Straßen aus.
Da Sole – anders als lose Salzkörner – besser auf der Straße haftet und ihre Wirkung länger anhält, ist ihr Einsatz deutlich effizienter und weniger belastend für die Umwelt. Der Salzverbrauch wird bei gleichbleibender Verkehrssicherheit wesentlich reduziert.
Auch Wasser wird gespart
So sparen die Straßenmeistereien rund um Dingolfing jedes Jahr mindestens 100 Tonnen Salz und 800.000 Liter Wasser ein. Mit dem Projekt gehen Sicherheit und Umweltschutz beim Winterdienst noch mehr Hand in Hand.
Wer nun in Sorge ist, dass seither im Winter auf niederbayerischen Bundes- und Staatsstraßen die Autos grün werden und nach Gurken riechen, dem sei gesagt: Es gibt keine Nebenwirkungen.
Bewährt im Labor und in der Praxis
Bereits im Vorfeld wurden umfangreiche Laboranalysen zur Abklärung der Materialverwendbarkeit im Winterdienst beauftragt. Sie betrachteten die Verwendung der Gurkengärlake hinsichtlich Abfall- und Lebensmittelrecht sowie fachlicher Anforderungen an die Sole aus der europäischen Salznormung.
Alle Ergebnisse zeigten, dass die Winterdienstsole, die aus dem Prozesswasser erzeugt wird, weder Allergene noch organische Reststoffe beinhaltet, die eine Verwendung im Winterdienst ausschließen würden. Auch musste nicht in neue Gerätschaften investiert werden. Sole ist Sole – dem Fahrer und seinem Fahrzeug ist es herzlich egal, woher sie stammt.
Was 2019 als Pilotversuch begann und im Winter 2020/2021 mit Blick auf Prozessabläufe und Lieferketten analysiert und optimiert wurde, mündete im Sommer/Herbst 2021 in einer festen Kooperation.
Dafür sicherte sich die Firma Develey im Rahmen eines Vergabeverfahrens den Auftrag für einen Liefervertrag zur Versorgung der Straßenmeistereien des Staatlichen Bauamtes Landshut mit Winterdienstsole für drei Jahre. Nach der anstehenden Winterdienstsaison werden die Leistungen 2024 erneut ausgeschrieben.
Damit ist auch schon das Fazit vorweggenommen: Das oberste Ziel mit Blick auf den Winterdienst muss sein, die Straßen für alle Verkehrsteilnehmer verkehrssicher zu halten und dabei auf einen ökonomischen sowie ökologischen Umgang mit dem Salz zu achten, die Belastung für Böden, Pflanzen und Tiere so gering wie möglich halten.
Wann immer es also die Möglichkeit gibt für den Einsatz derart innovativer Methoden: Sie sollte wahrgenommen werden.
Christian Bernreiter