Der Wohnungsmangel ist die aktuell größte Herausforderung in Berlin, sagt Franziska Giffey im Interview mit „der gemeinderat“. Ebenso hat sie aber auch überregionale Themen wie Gleichberechtigung im Blick.
Als Bundesministerin haben Sie sich für die Frauenquote eingesetzt, insbesondere bei Unternehmensvorständen. Bürgermeisterämter werden nach wie vor überwiegend von Männern besetzt, wenn auch nicht nur: Sie waren Bezirksbürgermeisterin – und jetzt sind Sie Regierende Bürgermeisterin in Berlin. Wie gehen Sie damit um: Ist männliche Dominanz für Sie ein Thema?
Franziska Giffey: Schauen Sie sich die von mir geführte Landesregierung an: Sie ist so weiblich wie kein Berliner Senat zuvor. Er besteht aus sechs Senatorinnen, vier Senatoren und einer Regierenden Bürgermeisterin. Aber ich gebe zu, das ist in Deutschland die Ausnahme, die Regel ist die von Ihnen angesprochene männliche Dominanz. Und auch in unserem Berliner Parlament, dem Abgeordnetenhaus, stehen nach der Wahl 95 Männern nur 52 Frauen gegenüber. Es gibt noch viel zu tun, aber wir gehen mit gutem Beispiel voran.
Woran liegt es, dass Frauen eher selten in Bürgermeisterämtern zu finden sind? Umfragen legen nahe, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eines der Haupthindernisse ist – sehen Sie das ebenfalls so?
Giffey: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch in der Politik bei Spitzenämtern ein großes Thema. Es ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da ist noch Luft nach oben. Es fängt mit der Grundhaltung und organisatorischen Fragen an und hört mit der paritätischen Besetzung von Funktionen auf. Ich finde es zum Beispiel richtig, dass die paritätische Besetzung von Ämtern durch Quotierung beim Deutschen Städtetag (DST) für dessen Gremien diskutiert wird. Berlin geht auch da voran: Wir entsenden gemäß unserem Landesgleichstellungsgesetz zu Beginn einer jeden Legislaturperiode paritätisch Vertreterinnen und Vertreter in den Hauptausschuss des DST. Dies gilt auch für die Berliner Entsendungen in die jeweiligen Fachausschüsse.
Gendern ist eines der aktuell sehr umstrittenen Themen: Die einen fordern es ein, die anderen bekämpfen es vehement. Wie gehen Sie damit um?
Giffey: Ich gehe damit pragmatisch um. Die Sprache bestimmt auch das Denken, das gilt es zu beachten. Die Zielsetzung einer „geschlechtergerechten Sprache“ wird seit vielen Jahren auch in der Berliner Verwaltung thematisiert. Aus frauen- und gleichstellungs-politischer Sicht ging und geht es dabei stets darum, den Frauen als der Mehrheit der Bevölkerung eine angemessene Repräsentanz zu verschaffen. Eine direkte Ansprache ist dafür unerlässlich. Dennoch spreche ich lieber von Schülerinnen und Schülern als von „Schüler*innen“. Soviel Zeit muss sein.
Sie sind eine der Frauen, die Führungspositionen und Verantwortung übernehmen wollen und auch in verschiedenen Positionen Verantwortung übernehmen. Was hat Sie motiviert, Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden zu wollen?
Giffey: Berlin ist für mich die tollste Stadt der Welt, die Stadt der Freiheit und der Vielfalt. Wir haben eine Kulturlandschaft, die einzigartig ist, die größte Start-up-Szene Europas, eine starke Wirtschaft, einen gut ausgebauten ÖPNV. Nach der Pandemie kommen wieder fast so viele Gäste wie vorher nach Berlin. Die Hotels sind voll, die Stadt hat nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Wir haben unser Neustartprogramm für Wirtschaft und Kultur aufgelegt. Wir haben viele Unternehmen, die trotz der unsicheren Zeiten in Berlin investieren wollen. Das sind gute Voraussetzungen, um noch besser zu werden.
Sie sind seit Dezember 2021 im Amt – in einer Zeit, in der die Politik noch einmal besonders herausgefordert ist. Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen in Berlin?
Giffey: Neben der Flüchtlings- und Kriegssituation sowie der Pandemie sind wir nun mit der Energiekrise konfrontiert. Es geht um Energieeinsparungen, die Energieversorgungs-sicherheit und Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen Härten abfedern und gezielt unterstützen. Die größte Herausforderung in Berlin ist dabei neben einer funktionierenden Verwaltung die Schaffung von bezahlbarem, neuen Wohnraum. In einer Stadt mit einer Anziehungskraft wie Berlin ist das ein großes Problem, weil die Flächen begrenzt sind und die Kosten für den Neubau nochmal in die Höhe geschnellt sind.
Wie wollen Sie das lösen?
Giffey: Wir müssen alles daransetzen, so viel zu bauen wie möglich, um dem riesigen Bedarf in der Stadt gerecht werden zu können. Dafür ist unser Berliner Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen ein wichtiger Schritt. Es beinhaltet als erstes seiner Art ausdrücklich Vereinbarungen, die dem Schutz von Mieterinnen und Mietern dienen und deren Zugang zum Wohnungsmarkt verbessern. Neubau, gerechte Neuvermietung, Schutz für Mieterinnen und Mieter sind unsere drei Schlüssel für mehr Neubau und bezahlbares Wohnen.
In diesem Jahr feiert „der gemeinderat“ seinen 65. Geburtstag, begleitet Bürger-meisterinnen und Gemeinderäte also seit einer sehr langen Zeit. Wir haben zu diesem Jubiläum in die Vergangenheit geschaut – und wollen vor allem in die Zukunft sehen: Was ist für Sie besonders wichtig?
Giffey: Kommunen sind das Rückgrat der Demokratie. Hier müssen Lösungen für lokale, aber auch für globale Probleme gefunden werden. Auf Kommunalebene sind viele Aufgaben zu meistern, deshalb muss die finanzielle Ausstattung auch in Zukunft angemessen sein. Ich war viele Jahre Bezirksstadträtin und Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln und habe die Bedeutung der Kommunalpolitik selbst erlebt und mitgestalten dürfen. Ein Grundsatz aus dieser Zeit prägt mich bis heute: Die Mutter der Kommunalpolitik ist die Anschauung vor Ort. Das heißt: Hingehen, zuhören, anpacken. Das muss unsere Devise sein.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person: Franziska Giffey (SPD) ist seit Dezember 2021 Regierende Bürgermeisterin von Berlin.