Energieautarke Kleinstadt

Die Akteure des Solarparks Berghof (v. l.): Dr. Otto Preiss (COO Rolls-Royce Power Systems), der Tengener Bürgermeister Marian Schreier, Grundstückseigentümer Gerhard Weber, Bene Müller (Vorstand von Solarcomplex) und Frank Lammering (Vorstandsmitglied der Sparkasse Engen-Gottmadingen). Foto: Solarcomplex

Tengen gehört zu den Vorreitern beim Thema erneuerbare Energien. Dank einer Kombination aus Windkraft, Photovoltaik und Biomasse deckt die Kommune bereits heute ihren Energie- und Strombedarf um ein Vielfaches.

Die baden-württembergische Stadt Tengen setzt bereits seit Jahren auf erneuerbare Energien. Als jüngstes Projekt wurde im Juni 2022 der Solarpark Berghof in Betrieb genommen, der von der Firma Solarcomplex und einem ortsansässigen Landwirt betrieben wird. Darüber hinaus erzeugen zwei Biogasanlagen und der Windpark Verenafohren Strom, Energie und Wärme. Der Windpark ist bereits seit 2017 in Betrieb und erzeugt pro Jahr rund 20 Millionen Kilowattstunden Strom.

Der Ertrag des Solarparks liegt bei rund vier Millionen Kilowattstunden. Die beiden Biogasanlagen produzieren neben Strom vor allem Wärme – darüber wird ein Nahwärmenetz betrieben, das die Kernstadt von Tengen und einen weiteren Ortsteil versorgt. In der Kernstadt sind alle städtischen Gebäude an das Nahwärmenetz angeschlossen.

Einige städtische Gebäude wurden mit Photovoltaik ausgestattet, darunter das Rathaus und die Kläranlage. Der Gemeinderat von Tengen hat in seiner Sitzung Ende Juni außerdem beschlossen, dass künftig auch die Gemeindehalle, die angrenzende Grundschule und eine Kindertagesstätte mit Photovoltaik belegt werden sollen. Weitere Gebäude in den Ortsteilen werden folgen. Mit dieser Kombination aus Biomasse, Windkraft und Solarenergie deckt die 4000-Einwohner-Stadt bereits ein Vielfaches ihres Eigenbedarfs an Energie.

Zweiter Windpark geplant

Aktuell laufen die Planungen für einen zweiten Windpark. Geplant ist dort ein größerer Anlagentyp als in Verenafohren, sodass eine Stromproduktion von rund 30 Millionen Kilowattstunden pro Jahr möglich sein soll. Der Genehmigungsantrag wird im Herbst 2022 gestellt werden. Der zweite Windpark wird von den Tengenern mit großer Mehrheit befürwortet: Von Oktober 2019 bis März 2020 wurde ein breiter Dialogprozess mit der Bürgerschaft durchgeführt, in dem das Für und Wider eines zweiten Windparks diskutiert wurde.

Dies mündete in einen Bürgerentscheid im März 2020 − und rund zwei Drittel der Befragten stimmten für das Projekt. Als Teil des Beteiligungsprozesses wurden zahlreiche öffentliche Informationsveranstaltungen durchgeführt. Regelmäßige transparente Informationen über den aktuellen Stand des Projektes waren maßgeblich für die Akzeptanz. Unter anderem fanden Exkursionen zum bestehenden Windpark statt sowie in den Stadtwald.

Am Tengener Stadtwald sind die Folgen des Klimawandels deutlich zu sehen: Die Bäume sind stark in Mitleidenschaft gezogen durch hohen Käferbefall, der auf die steigenden Temperaturen zurückzuführen ist. Auf diese Weise wird den Bürgerinnen und Bürgern verdeutlicht, dass der Klimawandel nicht nur ein abstraktes Thema ist, sondern sich bereits hier und heute auswirkt.

Genehmigungsverfahren beschleunigen

Die aktuell angespannte energiepolitische Lage hat der Stadt die Dringlichkeit beim Thema Ausbau der erneuerbaren Energien noch einmal vor Augen geführt. Uns ist sehr bewusst, dass wir bei unserem Bestreben nicht nachlassen dürfen. Damit der Ausbau der erneuerbaren Energie schneller vorankommt und die Energiewende erreicht werden kann, muss sich allerdings einiges auf politischer Ebene ändern.

Eine Stellschraube sind die Genehmigungsverfahren. Aktuell dauert der Genehmigungs-prozess so lange, dass wir das notwendige Tempo beim Thema Energieunabhängigkeit nicht erreichen können. Bis ein neues Windrad aufgestellt ist, gehen teilweise bis zu sieben Jahre ins Land – allein für den Genehmigungsprozess ist oft mehr als ein gesamtes Jahr zu veranschlagen.

Auch beim Schutz windkraftsensibler Vogelarten sollte sich einiges ändern. Bisher wurde beispielsweise jeder einzelne Rotmilanhorst geschützt. Das Ziel sollte aber sein, die Population in der gesamten Region zu bewahren. Die Bundesregierung hat dafür kürzlich Maßnahmen vorgelegt, mit denen die Kartierung von Rotmilanhorsten erleichtert werden soll. Das geht in die richtige Richtung.

Eine weitere Herausforderung beim Ausbau erneuerbarer Energien werden langfristig die Kapazitäten in der Bauwirtschaft und im Handwerk darstellen. Handwerker müssen dafür geschult und ausbildet sein, Luftwärmepumpen zu bauen. Zudem ist die Transportlogistik aktuell noch nicht auf diese Anzahl an Windrädern vorbereitet. Damit sich das möglichst zeitnah ändert, braucht es verlässliche politische Zusagen dafür, wie unser Zubau in den kommenden Jahren aussehen wird. Marian Schreier

Der Autor: Marian Schreier (SPD) ist Bürgermeister der Stadt Tengen.