Emanzipierung der Kommunen vorantreiben

Kleine Stadt, große Ideen: Das ehemalige Jagdschloss der sächsischen Kurfürsten thront über dem 4500-Einwohner-Städtchen Augustusburg in Sachsen. Bürgermeister Dirk Neubauer streitet für eine neue politische Kultur und mehr Selbstbestimmung für die Kommunen in Deutschland. Foto: Adobe Stock/stylefoto24

Dirk Neubauer hat mit zwei Büchern von sich reden gemacht, die eine Wende in der Politik und der Bevormundung der Kommunen fordern. Wie sieht er den Regierungswechsel und welche Erwartungen hat er an seine Amtskollegen?

Was erwarten Sie von der frisch eingesetzten Regierung?

Dirk Neubauer: Ich befürchte, dass sich an der Position der Kommunen und am Thema Mitbestimmung nichts ändern wird. Es sieht alles nach einem „Weiter so!“ aus. Lesen Sie den Koalitionsvertrag und suchen Sie, wie oft das Wort „Kommune“ vorkommt. Dann wissen Sie, wie zufrieden ich damit bin. Und schauen Sie auf die Straßen in Sachsen, dann wissen Sie, wozu ein „Weiter so!“ führt.

Warum denken Sie, dass die Kommunen nicht stärker einbezogen werden?

Neubauer: Für den Bund ist die Kommune eine ferne Welt. Es gab ein paar Nachfragen, was wir uns wünschen würden. Inwiefern das zum Tragen kommt, weiß ich nicht. Bei mir kommt das Signal an, dass weiter von oben regiert wird.

Welche Handlungsoptionen sehen Sie?

Neubauer: Wir haben das „Denkwerk Ost“ gegründet. Ost ist dabei nur die lokale Beschreibung, weil der Verein hier in Augustusburg sitzt. Wir wollen als Verein positiven Änderungsdruck auf Bundes- und Landesebene erzeugen und neue Dinge probieren oder alternative Handlungsoptionen aufzeigen, die zuvor auf Landes- oder Bundesebene blockiert wurden. Dafür haben wir Strukturen geschaffen, um uns unabhängig zu finanzieren. In der Vergangenheit sind oftmals sinnvolle Ideen blockiert worden. Gerade während der Corona-Pandemie zum Beispiel sind gute Möglichkeiten, die Schulen sicherer zu machen, blockiert oder ignoriert worden.

Was genau wollen Sie damit erreichen?

Neubauer: Wir wollen Ideen erarbeiten und ausprobieren, um so Alternativen aufzuzeigen. Dann stellen wir die Frage, warum wir das nicht so machen. Für mich ist das schön, endlich darf ich für etwas sein und nicht immer nur dagegen. In diesem Land wird viel Innovation zerstört, indem sie einfach nicht umgesetzt wird, denn jeder weiß im Vorfeld schon, dass es sowieso nicht gehen wird.

Welche Projekte wollen Sie umsetzen?

Neubauer: Das erste Projekt ist ein Zukunftskongress im kommenden Mai. Wir laden Bürger, Politiker und Wissenschaftler ein in verschiedenen Themenpanels mitzuarbeiten. Wir wollen an ganz konkreten Fragestellungen arbeiten und die Lösungen sollen verpflichtend umgesetzt werden. Wir wollen keine neue Selbsthilfegruppe, die feststellt, dass alles ganz schlimm ist, sondern sinnvolle Lösungen erarbeiten.

Sie haben zwei Bücher geschrieben, in denen Sie einen neuen politischen Führungsstil fordern. Die Bücher haben medial große Beachtung erfahren. Wie war die Resonanz auf politischer Ebene?

Neubauer: Es gibt immer viel Zuspruch, zu dem, was ich sage, aber konkret wird nie etwas. Das macht mich mürbe. Die Bürger bekommen das ja auch mit und fragen, was daraus wurde. Da stehen wir meist nicht gut da. Wir müssen konkret anders arbeiten: weniger versprechen, mehr handeln, klar kommunizieren. Ich fordere einfach nur Ehrlichkeit, keine ungedeckten Schecks mehr. Dann gibt es auch keine Gegenpropaganda, dann gehen weniger Menschen auf die Straßen. Meine Bücher haben mich mit Kollegen deutschlandweit in Kontakt gebracht, die wie ich fordern: weniger Förderprogramme, mehr Geld direkt an die Kommunen. Dann werden wir auch schneller, Projekte ziehen sich nicht mehr ewig und werden auch nicht dreimal so teuer.

Woran scheitert diese Emanzipierung der Kommunen?

Neubauer: 500 Mitarbeiter bei der sächsischen Aufbaubank kümmern sich nur um kommunale Sachverhalte der 400 sächsischen Kommunen. Diese Arbeitsplätze wären dann natürlich obsolet …

Wie können Kommunen dem Ziel dennoch näherkommen?

Neubauer: Wir müssten uns besser organisieren. Das ist für Bürgermeister im Parteiapparat teilweise schwierig, sich zusätzlich noch zu formieren. Die Interessensvertretung der Städte und Gemeinden müsste stärker als Gewerkschaft der Kommunen dienen.

Das heißt, Sie wünschen sich mehr Zusammenhalt auf kommunaler Ebene?

Neubauer: Wir sind regional ganz gut vernetzt, aber das ist sehr kleinteilig. Wenn die Kommunen eine Veränderung ihrer Situation wollen, müssen sie dafür streiten – mit eingehaktem Schulterschluss, sonst wird das nicht funktionieren.

Müssen sich die Kommunen ändern?

Neubauer: Ich denke schon. Wir brauchen andere Strukturen, wir müssen mit der Zeit gehen: digitaler werden, Dienstleister für die Bürger werden. Aber dafür brauchen wir Möglichkeiten. Da schließt sich der Kreis: Ich muss eigenständig Entscheidungen treffen können. Uns fehlt Geld, Know-how und eine große Strategie.

Interview: Denise Fiedler

Zur Person: Dirk Neubauer, 1971 in Halle/Saale geboren, ist parteiloser Bürgermeister der sächsischen Stadt Augustusburg (4500 Einwohner). Der gelernte Journalist volontierte bei der Mitteldeutschen Zeitung, arbeitete als Reporter und Beauftragter für digitale Medien, war Marketingverantwortlicher beim MDR und beriet Zeitungsverlage zum Thema Digitalisierung. 2019 erschien sein Buch „Das Problem sind wir“, 2021 der Nachfolger „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“.

Foto: Rowohlt Verlag