Digitale Dekarbonisierung: Hilfe für Kommunen beim Klimaschutz

Mithilfe eines digitalen Modells der urbanen Energieversorgung, können energetische Synergien und Einsparpotentiale aufgedeckt werden. Foto: AdobeStock_nirutft

Wollen wir die Pariser Klimaziele erreichen, müssen auch unsere Städte und Gemeinden den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase spürbar senken. Digitale Dekarbonisierung ist hierzu ein effizienter Weg, finden die Experten und Fachautoren Oliver D. Doleski und Sebastian Thiem.

Die Art, wie wir leben und arbeiten, trägt maßgeblich zum Klimawandel bei. Städte und Gemeinden setzen heute einen Großteil aller weltweiten Emissionen von Kohlendioxid, Methan und sonstiger Treibhausgase frei. Damit tragen urbane Ballungsräume und industrielle Zentren, aber auch geringer besiedelte Regionen und Gemeinden zur globalen Erwärmung erheblich bei.
Täglich gelangen beträchtliche Mengen Treibhausgase bei der Herstellung von Produkten, beim Betrieb städtischer Infrastrukturen und bei der Heizung oder Kühlung von Gebäuden in die Atmosphäre. Kaum strittig ist, dass damit insbesondere Städten und Gemeinden eine wesentliche Bedeutung bei der Einhaltung der Pariser Klimaziele zufällt. Denn wollen wir als Gesellschaft den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen – und zu verlieren ist keine Option –, müssen zuallererst unsere Ballungsräume und Industrieansiedlungen den Ausstoß von Treibhausgasen spürbar senken. Aber wie kann dies geschehen? Heute existiert längst eine ganze Reihe etablierter Verfahren und Technologien, die zu einer Minderung von Kohlendioxid und Co. in der Atmosphäre beitragen. Eine der bedeutendsten Technologien ist hier fraglos die Digitalisierung, die bislang auf zweierlei Weise positiv auf das Klima wirkt: Zum einen laufen dank Digitalisierung zahlreiche industrielle und gewerbliche Prozesse heute reibungsloser und damit straffer als noch vor wenigen Jahren ab. Zum anderen ermöglichen moderne Digitaltechnologien eine ressourcenschonendere Herstellung von Produkten.

Rechnen mit dem digitalen Zwilling

Diese langjährig etablierten Technologien und Verfahren, auch wenn sie digital unterstützt sind, greifen jedoch häufig zu kurz. Dies gilt insbesondere in all jenen Fällen, bei denen die gewählten Lösungen nicht das relevante System in seiner individuellen Komplexität ganzheitlich, sondern nur Teilaspekte davon berücksichtigen. Die Praxis zeigt in diesem Kontext oftmals, dass das viel beschworene Bauchgefühl gerade bei der Optimierung von Energieverbräuchen in Kommunen trügen kann. In der Konsequenz bleiben wesentliche Verbesserungspotenziale für mehr Klimaschutz bei urbanen Energiesystemen häufig ungenutzt. An dieser Stelle kann Digitale Dekarbonisierung beim Klimaschutz helfen.
Mit der Methode der Digitalen Dekarbonisierung werden die gängigen klimawirksamen Digitalisierungsansätze grundlegend erweitert. Die Wirklichkeit eines Siedlungsgebiets wird zunächst als digitaler Zwilling abgebildet. Es entsteht ein digitales Modell der urbanen Energieversorgung. Anschließend können alle denkbaren Kombinationen dieser Energieanlagen untereinander verglichen und bewertet werden. Dank dieser datenanalytischen Verbesserung des Zusammenspiels aller am jeweiligen Ort installierten Energieanlagen resultiert eine Stadt, eine Gemeinde oder ein städtisches Industrieareal mit dem kostengünstigen Energiesystem, welches sehr wenig Treibhausgase emittiert. Ein Resultat, welches klassische Digitalisierungsansätze nicht liefern können.

Das urbane Einsatzspektrum

Die kommunalen Anwendungsgebiete der Digitalen Dekarbonisierung beim Klimaschutz sind vielfältig. Drei ausgewählte Beispiele illustrieren das urbane Einsatzspektrum dieser Technologie:

  • Strom- und Wärmeerzeugung: Entwicklung nachhaltiger Fahrpläne für Energiesysteme eines Stadtbezirks, bei denen diese Areale möglichst wenig Treibhausgase emittieren.
  • Sektorkopplung: Digitale Dekarbonisierung hilft Städten und ihren kommunalen Versorgern dabei, die Belastungen der lokalen Stromnetze so zu simulieren, dass Lastspitzen in der Realität wirkungsvoll begrenzt werden können.
  • Wohnungswirtschaft: Unterstützung städtischer Wohnungsgesellschaften bei der Integration moderner Konzepte wie Mieterstrom in ein lokales Anlagendesign.

Diese Projekte sind längst dem prototypischen Stadium entwachsen. Auch ist diese Aufzählung urbaner Anwendungsfälle keineswegs abschließend.

Jedes Projekt beginnt mit dem ersten Schritt. Bei der Digitalen Dekarbonisierung ist dies die Sammlung, Strukturierung und Plausibilisierung der erforderlichen Eingangsdaten (input data). In der Praxis ein für die Qualität des späteren Ergebnisses bedeutender, wenngleich dank digitaler Methoden gut beherrschbarer Projektabschnitt. Diese Phase wird von Kundenvertretern und Beratern stets Hand in Hand gemeinsam bearbeitet.
Nach der initialen Datensammlung und -aufbereitung beginnt die Modellierung durch das Beraterteam: Hier wird der digitale Zwilling des Energiesystems aufgesetzt. Dieser umfasst bereits ein Set aller existierenden und für den konkreten Fall der Stadt oder des Stadtwerks erforderlichen Technologien.

Kosten und Emissionen im Blick

Auf die zweite Phase folgt das Design des neuen Energiesystems. In dieser dritten Projektstufe werden die Kosten und die Emissionen des zukünftigen Systems in Form von mehreren Szenarien erarbeitet. Während dieser Arbeiten stehen die Berater im engen Austausch mit dem Kunden, um Zwischenergebnisse validieren zu können. Zum Ende des Projekts erfolgen die Dokumentation und Übergabe aller Ergebnisse an den Klienten.
Mit Digitaler Dekarbonisierung steht Städten und Gemeinden ein neues, praxiserprobtes Instrument zur Verfügung, durch das der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase städtischer Energieanlagen und Industrieareale spürbar reduziert werden kann. Damit unterstützt Digitale Dekarbonisierung Kommunen aller Größen dabei, dem Zielbild einer dekarbonisierten Stadt oder Gemeinde ein großes Stück näher zu kommen – und sich hierbei auf dem richtigen, kosteneffizienten Pfad zu bewegen.

Die Autoren:

Oliver D. Doleski ist Principal bei Siemens und Herausgeber energiewirtschaftlicher Fachbücher. Er ist Mitglied im Bundesverband Smart City e. V.
Dr.-Ing. Sebastian Thiem leitet die Forschungsgruppe „Distributed Energy Systems and Heat Conversion“ in der Siemens Technology.

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-32934-1