Die neue Normalität

Ein neues Schlagwort macht die Runde: Klima-Kultur-Wandel. Es steht dafür, klimafreundliches Handeln im Normen- und Werte-Raster der Gesellschaft fest zu verankern. Der Einsatz für Klima- und Naturschutz, Gesundheit und sozialen Zusammenhalt soll zum Prinzip des alltäglichen Handelns werden.

Erste Folgen des Klimawandels zeigen sich auch in Deutschland. Extremwetterereignisse wie Starkregen erfordern immer häufiger unser Handeln. Kommunen investieren in Anpassungsmaßnahmen und engagieren sich für den Ausbau erneuerbarer Energien und Elektromobilität. Doch nicht immer werden die gesetzten Ziele erreicht, da sich die Umsetzung hinzieht oder zu wenige Akteure das Ganze vorantreiben. Dies macht sich auch national bemerkbar: Deutschland wird seine Klimaschutzziele für 2020 verfehlen, im Verkehrsbereich steigen die CO2-Emissionen sogar weiter an.

Ursachen dafür lassen sich viele benennen, die Kurzdiagnose aber lautet: Selbstverständliche Routinen und Rahmenbedingungen, durch die klimafreundliches Handeln zur Normalität wird, haben sich noch nicht etabliert. Um das Pariser Klimaschutzabkommen mit einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent zu meistern, bedarf es eines Wandel hin zu einer klimafreundlichen Kultur auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Doch dieser Klima-Kultur-Wandel bedeutet nichts weniger als die grundsätzliche Neuausrichtung unserer Verhaltensweisen in Beruf und Alltag.

Auf dem Prüfstand stehen die Normen und Werte, mit denen wir unser Leben als Individuen und in der Gemeinschaft organisieren. Dabei spielen Kommunen eine wichtige Rolle- als Ansprechpartner für die Herausforderungen vor Ort und gleichzeitig als Vorbild. Sie können den notwendigen Nährboden für (Selbst-)Erkenntnis- und Veränderungsprozesse schaffen und diese initiieren. Oft zeigt sich allerdings, dass bei maßgeblichen Verantwortlichen das Bewusstsein für den tatsächlichen Handlungsbedarf noch fehlt.

Klimafreundlich im Alltag

Was ist also zu tun? Der Klima-Kultur-Wandel kann nicht geplant oder gar verordnet werden, er ist als Entwicklungsprozess zu steuern. Wir müssen lernen, Klimafreundlichkeit überall als Grundwert zu verankern: durch die Ausbildung entsprechender Beziehungs- und Organisationskulturen sowie durch individuelle und institutionelle Veränderungskompetenzen. Für Kommunen heißt das institutionelles Change-Management sowie Akzeptanz und Mitarbeit seitens der Bürger.

Projekte wie das durch die Nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums geförderte Climateculture-Lab (CCL) können hier helfen. In kommunalen Werkstätten begleitet es den inneren Veränderungsprozess, bietet den benötigten Motivations- und Experimentierrahmen und fördert das Verzahnen und Vernetzen verschiedenster Akteure auf Augenhöhe. Gemeinsam entstehen so Projektskizzen, die Bilder der klimafreundlichen Kommune der Zukunft entstehen lassen: den Klimabürgerrat Göttingen, die Radfahrerstadt Viernheim, nachhaltige Klassenfahrten für Karlsruhe und autarke Energieversorgung der öffentlichen Einrichtungen in Rehfelde.

Gleichzeitig entsteht aber etwas Weiteres: ein Wir-Gefühl, ein Klima-Kultur-Wandelgeist sozusagen die Überzeugung und das geteilte Vertrauen, dass alle zusammen an einem Strang ziehen. Bewusst und gemeinsam vorangehen ein zentraler Wert beim Abschied von der ressourcenverschwendenden Ich-Kultur. Dies zeigen auch unsere Erfahrungen aus der jahrzehntelangen Zusammenarbeit des Klima-Bündnis mit den indigenen Völkern Amazoniens: Die Auseinandersetzung mit anderen Lebens- und Gesellschaftsvorstellungen hilft sich vom gewohnten Trott zu trennen und neue Perspektiven einzunehmen.

Querschnittsaufgabe institutionell verankern

Für den kommunalen Alltag bedeutet der Wandel, eine ressortverbindende Sprache und neue Entscheidungsroutinen zu entwickeln, um die Querschnittsaufgabe Klimaschutz institutionell besser zu verankern. Das erfordert verstärkte Abstimmung zwischen Ämtern, aber auch Vernetzung und Austausch der Kommunen untereinander sowie mit anderen Akteuren und den Bürgern. Gerade Klimaschutzmanager können die erforderlichen klimakulturellen Kommunikations- und Lernimpulse innerhalb und außerhalb der Kommunalverwaltung weitergeben – vorausgesetzt, Vorgesetzte unterstützen sie dabei! Empfehlenswerte innovative Lern- und Entwicklungsformate wären beispielsweise interaktive Planungsworkshops oder Zukunftskonferenzen, die den Teilnehmenden eine gleichberechtige Begegnung und Zusammenarbeit ermöglichen.

Den Klima-Kultur-Wandel fördern bedeutet als Kommune, ein klimafreundliches Verhalten als neue Normalität zu vermitteln und vorzuleben. Gemeinsam Argumente und Mitstreiter jenseits von kurzfristigen Gewinnen und vermeintlicher Wirtschaftlichkeit zu finden, ist hier eine der wichtigsten Herausforderungen für das Gelingen. Mit jeder Entscheidung im Gemeinderat für oder gegen den Bau einer Straße, die Beschaffung von nachhaltigem Schulmaterial, die Errichtung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Quartieren oder Gewerbegebieten öffnen oder schließen wir in der Kommunalpolitik Chancen, eine enkeltaugliche Strategie für die Stadt oder die Gemeinde zu entwickeln oder fortzuführen.

Nicht erst für unsere Nachfahren sollten Haushaltsgeräteverleih, autofreie Innenstädte, sektorgekoppelte Elektro- und Heizinfrastruktur und vielfache Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger an kommunalen Entscheidungen selbstverständlich sein. Auch heute und hier profitieren wir alle von Kommunen, in denen der Einsatz für Klima- und Naturschutz, Gesundheit und sozialen Zusammenhalt Prinzipien des alltäglichen Handelns sind.

Holger Matthäus

Der Autor
Holger Matthäus ist Vorstandsvorsitzender des Klima-Bündnis‘, einer Initiative, in der sich 1700 Mitgliedskommunen in 26 europäischen Staaten, Bundesländer, Provinzen und Organisationen dem Klimaschutz verschrieben haben; beruflich steht Matthäus als Senator für Bau und Umwelt in Diensten der Hansestadt Rostock