Finanzknappheit sollte kein Grund sein, die bedarfsgerechte Versorgung von Bevölkerung, Schulen und Vereinen mit Sportanlagen zu vernachlässigen, sagt der Sportwissenschaftler Alfred Rütten. Im Interview erläutert er, wie die Kommunen die Bewegungsförderung unterstützen können.
der gemeinderat: Herr Prof. Rütten, Bewegungsmangel ist ein bedeutender Risikofaktor bei der Entstehung vieler Zivilisationserkrankungen. Was können die Kommunen im Bereich der allgemeinen Bewegungsförderung leisten?
Rütten: Den Kommunen wird nach dem Präventionsgesetz eine besondere Rolle beim Auf- und Ausbau gesundheitsförderlicher Strukturen beigemessen. Sie können für eine angemessene Versorgung mit Sportanlagen und Bewegungsräumen wie Wege, Plätze und Grünanlagen sorgen. Kommunale Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Senioreneinrichtungen können die Tagesabläufe bewegungsförderlich gestalten und entsprechende Infrastrukturen bereitstellen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Politik. Hier gibt es in der Kommune bewegungsförderliche Gestaltungsspielräume in mehreren Sektoren wie Sport, Bildung, Gesundheit oder Transport. Auch kann die Kommune Einfluss auf die soziale Unterstützung für mehr Bewegung ausüben, indem zum Beispiel Netzwerke für Bewegung gefördert werden.
der gemeinderat: Was haben Städte und Gemeinden ihrerseits für Vorteile, wenn sie sich in der Bewegungsförderung engagieren?
Rütten: Die Vorteile sind vielfältig und beziehen sich auf unterschiedliche Bereiche: Gesundheit ist den meisten Menschen das höchste Gut. Ist es da nicht ein Vorteil für eine Kommune, wenn sie dieses Gut ihrer und Bürgern unterstützt, indem sie Bewegung fördert? Integration und sozialer Zusammenhalt sind mehr denn je gefragt. So ist es von Vorteil, wenn eine Kommune die sozialen Funktionen des Sports nutzen kann. Viele Kommunen sehen sich mit dem demografischen Wandel konfrontiert. Da ist es beispielsweise vorteilhaft, die Bewegung älterer Menschen zu fördern, damit sie so Sturzrisiken und Demenz vorbeugen und länger unabhängig von Unterstützungsleistungen leben. Die Risiken und Kosten der Umweltverschmutzung machen vor den Kommunen nicht Halt. Sie profitieren deshalb davon, wenn Menschen in einer bewegungsfreundlichen Lebenswelt öfter mal das Auto stehen lassen und Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen.
der gemeinderat: Wo sehen Sie Partner, mit denen interessierte Kommunen sich zusammentun könnten, um beispielsweise Sport- und Bewegungsprogramme für ihre eigenen Mitarbeiter zu entwickeln?
Rütten: Die Kommunen haben ja oft bereits sehr gute Strukturen, die für die Entwicklung von Bewegungsprogrammen genutzt werden können, so zum Beispiel die Volkshochschulen. Partnerschaften wären auch mit Sportvereinen oder privaten Sportanbietern wie Fitness-Studios denkbar. Ganz wichtig ist, die Mitarbeiter selbst bei der Entwicklung von Angeboten zu beteiligen, besonders diejenigen, die sich bislang noch nicht genügend bewegen. Dies sorgt dafür, dass die Bewegungsprogramme bedarfsgerecht gestaltet werden und erhöht damit deren Akzeptanz.
der gemeinderat: In Schwäbisch Gmünd haben Sie jüngst im Rahmen eines Projekts Daten erhoben zur bewegungsbezogenen Infrastruktur, zum bürgerlichen Engagement und zu bewegungsfördernden Angeboten und Veranstaltungen in der Stadt. Was ist das Ziel dieses Projekts?
Rütten: Um Kommunen dabei zu unterstützen, die Gestaltungsspielräume zur Bewegungsförderung noch besser zu nutzen, bietet die Barmer GEK mit der Weiterentwicklung der Initiative „Deutschland bewegt sich“ vor Ort eine strukturbildende Hilfestellung an. Ziel dieses Pilotprojektes, das bei erfolgreicher Umsetzung auf andere Städte ausgeweitet wird, ist die nachhaltige Bewegungsförderung auf kommunaler Ebene.
der gemeinderat: Wo liegen die konzeptionellen Schwerpunkte?
Rütten: Der Fokus liegt nicht zuletzt auf einer dauerhaften Verhaltensänderung bei Bürgern, die sich bislang kaum oder nicht ausreichend bewegen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass hierfür die Entwicklung von bewegungsfördernden Strukturen notwendig ist. Es geht um neue Wege der direkten Ansprache und Beteiligung dieser Zielgruppe, aber auch Veränderungen in der Zusammenarbeit zum Beispiel zwischen Politik, Verwaltung, Vereinen und Betrieben. Solche Veränderungen setzen wir gemeinsam mit den Akteuren vor Ort in einem kooperativen Planungsprozess in Gang. Die erhobenen Daten nutzen wir, um Bedarfe ableiten und an die vorhandenen Stärken der Kommune anknüpfen zu können.
der gemeinderat: Viele kommunale Sportanlagen und Bäder sind gefährdet, weil der Betrieb unwirtschaftlich ist oder Mittel für die Sanierung fehlen. Sind Spazierwege mit wartungsfreien Trimmgeräten die sportliche Zukunft in finanzschwachen Gemeinden?
Rütten: Die meisten Kommunen sehen sich mit Haushaltsdefiziten konfrontiert, und es gibt Kommunen, in denen die Finanznot besonders groß ist. Nichtsdestoweniger ist das Thema unzureichender Finanzen auch eine Frage politischer Prioritäten. Da sollte man das eine nicht gegen das andere ausspielen. Eine bedarfsgerechte Versorgung von Bevölkerung, Schulen und Vereinen mit Sportanlagen ist absolut notwendig, um den gesundheitlichen Gefahren und beträchtlichen Kosten des Bewegungsmangels zu begegnen, die vielfältigen sozialen Funktionen des Sports zu nutzen und insgesamt eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten. Daneben hat in der Tat der Handlungsbedarf zur Schaffung bewegungsgerechter Räumen außerhalb normierter Anlagen zugenommen. Von einer kooperativen und integrierten Entwicklung beider Bereiche können alle Seiten profitieren.
der gemeinderat: Welche Ansätze sehen Sie zur kommunalen Sportentwicklungsplanung?
Rütten: Vor einigen Jahren hat eine Gruppe von Sportwissenschaftlern gemeinsam mit Vertretern des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) und des Deutschen Städtetags ein Memorandum verfasst, das von vielen Kommunen als Grundlage genutzt wird. Der entsprechende Ansatz einer integrierten Sportentwicklungsplanung bezieht sich auf Sportanlagen und andere Bewegungsräume. Es geht zudem über die Infrastrukturentwicklung hinaus auf Fragen der Angebots- und Vereinsentwicklung sowie der Sportförderung ein. Zentral ist, dass die Vorgehensweise nach dem Memorandum kooperativ gestaltet wird, das heißt unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung neben Vereinen, Stadtverwaltung und Kommunalpolitik beteiligt werden. Das unterstützt die Bedarfsgerechtigkeit, Umsetzbarkeit und Akzeptanz möglicher Maßnahmen. Insofern gibt es für die Sportentwicklung einen zukunftssicheren Planungsansatz, der sogar Vorbild für andere Bereiche sein kann.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Prof. Dr. Alfred Rütten ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind die Bewegungs- und Gesundheitsförderung spezieller Bevölkerungsgruppen – etwa älterer Menschen oder Migranten. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der kommunalen Sportentwicklungsplanung sowie in der kommunalen und regionalen Gesundheitsförderung. Er verfasste nationale und internationale Expertisen, wie die Deutschen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung.
Info: Aktionsprogramm in Kommunen
Die Krankenkasse Barmer GEK bietet mit der Weiterentwicklung der im Jahr 2003 gestarteten Initiative „Deutschland bewegt sich“ Kommunen eine strukturbildende Hilfestellung an. Gemeinsam mit lokalen Partnern sollen gemäß dem neuen Präventionsgesetz gesundheitsförderliche Strukturen aufgebaut und gestärkt werden.