Der Mainzer Bürgerentscheid: Was der Bibelturm mit Groupthink und Fußball zu tun hat

Das Gutenberg-Museum In Mainz wird nicht erweitert. Ein Bürgerentscheid Mitte April brachte das Bibelturm-Projekt zu Fall. Die Kommunikationsexpertin Lucia Brauburger erörtert in ihrem Kommentar die Gründe für die Ablehnung und die Konsequenzen für die Kommunalpolitik.

„Wer einen Fußballplatz an einem Berghang baut, braucht sich nicht wundern, wenn die Menschen die Lust am Spielen verlieren.“ Mit diesen Worten beschreibt der Schweizer Politiker Andreas Gross die Situation der politischen Mitbestimmung in Deutschland. Dies zeigt sich auf Landesebene ebenso wie in den Kommunen. Hier wie dort herrschen nach wie vor große Berührungsängste, die Bürgerschaft offensiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Dass dies gehörig nach hinten losgehen kann, zeigte kürzlich ein Ereignis, das der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz unverhofft bundesweites Interesse bescherte: Das Scheitern der Erweiterung des Gutenberg-Museums durch den Bau des sogenannten Bibelturms durch den Bürgerentscheid vom 15. April 2018. Rund 23 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten mit Ja, rund 77 Prozent mit Nein. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 40 Prozent.

Eigentlich vom Stadtrat bereits auf den Weg gebracht, erlitt das Projekt Schiffbruch, weil sich engagierte Bürger eben nicht davon abhalten ließen, am „Spiel teilzunehmen“. Zwei Gründe führten zum Scheitern. Erstens war das Projekt falsch aufgestellt. Bis zuletzt fehlte ein glaubwürdiger Finanzierungsplan. Und zweitens wurde das Engagement der Bürger unterschätzt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Krisen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – kein plötzliches Naturereignis sind, sondern systemimmanenten Charakter haben. Dennoch haben Unternehmen, Institutionen und kommunale Funktionsträger immer noch viel zu selten ein Bewusstsein dafür, von welchem Krisenpotenzial sie umgeben sind.

Die empirische Forschung hat hierfür den Namen Groupthink. Der Begriff definiert den Denkmodus von Gruppen, die sich einem bestimmten Ziel verschreiben und den Konsens als wichtige Stellschraube betrachten, das Ziel auch zu erreichen.

Dieses Konsensstreben birgt ein großes Problem. Es geht zu Lasten einer kritischen Reflektion, was an der eigenen Idee falsch oder zumindest anfechtbar sein könnte. Als Folge geht der Blick für die Perspektiven anderer verloren und deren Einflussmöglichkeit wird unterschätzt. Dies wiederum führt dazu, dass kluge Menschen mitunter unkluge Entscheidungen treffen.

In Mainz zeigte sich dies daran, dass die Bedeutung des Liebfrauenplatzes – vorgesehener Standort des Turmneubaus im Herzen der Stadt – für die Mainzer Bevölkerung unterschätzt wurde. Diese wurde von den Plänen erst informiert, als die Ergebnisse des im Jahr 2015 durchgeführten Architekturwettbewerbs bereits feststanden.

Umstritten war auch der Weg der politischen Entscheidungsfindung. So wurde moniert, dass es keinen expliziten Stadtratsbeschluss zum Bau des Turms gegeben habe, sondern lediglich eine gebilligte Vorlage, in der der allgemeine Sachstand zur Kenntnis genommen und der Auftrag erteilt wurde, auf dieser Basis weiterzuarbeiten.

Der Bürgerentscheid, der in Folge des Engagements der Bibelturm-Gegner zustande kam, verpasste all dem eine schallende Ohrfeige. Den politischen Entscheidungsträgern sollte das zu denken geben. Das Spielfeld, um im eingangs erwähnten Bild zu bleiben, das in Mainz gesteckt wurde, wurde verlassen. Die Mainzer Bürger haben sich ihr eigenes Feld abgesteckt.

Lucia Brauburger

Die Autorin
Lucia Brauburger ist Inhaberin einer Agentur für PR, Kommunikation und Dialog in Mainz. Als Lehrbeauftragte hat sie sich zudem auf die Themen Stakeholdermanagent und Partizipation spezialisiert.