Das Undenkbare machen

Die Verwaltung bleibt in der kommenden Zeit im Krisenmodus. Die Bewältigung der Herausforderungen setzt neue Kräfte frei, und verkrustete Strukturen werden aufgebrochen. Wie kann der Gestaltungsanspruch der kommunalen Politik auch in einer zunehmend digitalen Welt sichergestellt werden?

Die Kommunalverwaltung ist ein zentraler Baustein zur Bewältigung der Corona-Krise. Auf lokaler und regionaler Ebene werden die Maßnahmen des Bundes und der Länder umgesetzt. Krisenstäbe, Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Ordnungsämter, Pflegestellen, Feuerwehr und Katastrophenschutz, Rettungsdienste und Finanzabteilungen arbeiten mit Hochdruck daran, die Ausbreitung des Virus zu begrenzen und die Betreuung Erkrankter sicherzustellen.

Die Kommunen versorgen gesundheitliche Einrichtungen mit notwendigen Materialien, kümmern sich um Notdienste der Kinderbetreuung und um alte und kranke Menschen. Viele Mitarbeiter der Verwaltung arbeiten im Homeoffice und zeigen, dass auch das geht. Sitzungen der Gemeinderäte werden, wie in Baden-Württemberg, online ermöglicht. Kommunale Unternehmen optimieren ständig ihre Notfallpläne und sichern mit ihrer Infrastruktur die Grundversorgung. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Es sind Dinge möglich, die bisher undenkbar waren.

In den kommenden Wochen und Monaten bleibt die Verwaltung im Krisenmodus. Viele Maßnahmen werden in den Kontext von Corona gestellt. Die Menschen erleben derzeit, wie wichtig eine funktionierende Kommunalverwaltung ist. Aktuell sind die Herausforderungen groß, nach Corona sind sie für Staat und Kommunen gewaltig. Das gilt besonders für den Wiedereintritt in die (neue) Normalität. Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und der Aufenthalt in diesen müssen hygienischen Erfordernissen angepasst werden. So sind in Kitas und Schulen die Räume neu zu konfigurieren. Das kostet Aufwand, Zeit und Geld.

Offene Gesellschaft gestalten

„Viren“ gehen nicht mehr weg, es wird weitere Anfälligkeiten von Gesellschaften und Systemen geben, auch in anderen Konstellationen. Die Kommunen denken mit. Sie lassen sich nicht auf Abschottungen ein, sondern wollen eine offene Gesellschaft. Sie sehen in Europa einen politischen Handlungs- und Gestaltungsraum, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und gemeinsame Werte verkörpert. Nicht De-Globalisierung ist das Ziel, sondern Vernetzung und Respekt.

Ist die Form des Wirtschaftens, der Umgang mit den Ressourcen des Planeten richtig? Hat sich der Mensch nicht wo möglich bereits aus der Natur „herausgelöst“? Tun wir das Richtige in den Kommunen? Das sind Fragen, die auch die kommunale Verwaltung beschäftigen werden. Wie weit dürfen Kontrollrechte des Staates gehen? Was sind das für Probleme, die wir mit Kontrollen bewältigen wollen? Ist das die einzige Alternative, die wir haben? Wie können bürgerliche und persönliche Freiheiten als Grundlage unseres Lebens weiter ganz oben stehen und sichergestellt werden? Risiken gehören zum Leben, wie weit lassen wir sie zu? Wird jetzt alles digitaler werden müssen, um beispielsweise Versammlungen und Behördentermine zu reduzieren? Wie begegnen sich Menschen untereinander? Findet künftig gar der öffentliche Raum in den privaten Häusern statt? Welche Bedeutung haben öffentliche Plätze? Was machen die aktuellen Einschränkungen mit der Stadtgesellschaft? Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Smart Cities?

Neustart der Wirtschaft

Hinzukommen notwendige Verbesserungen im Gesundheitswesen, in der Bildung und im Bereich New Work, was Arbeitsorte, Arbeitsinhalte und Arbeitsformen der Verwaltungskräfte betrifft. Es ist ein Aufbruch aus jahrzehntelanger Verkrustung der Strukturen. Neben der Stabilisierung des Gesundheitssystems und des sozialen Gefüges der Gesellschaft geht es besonders um den Neustart der Wirtschaft. Dazu bedarf es unter anderem einer Vitalisierung und eines Ausbaus von Infrastrukturen sowie einer massiven Unterstützung kreativer Kräfte beispielsweise aus dem Umfeld von Soloselbstständigen und von Start-ups. Die tatkräftige Initiative der Stabsstelle Digitalisierung des Gemeindetages Baden-Württemberg im Bereich Startups und Kommunen sollte bundesweit Schule machen.

Für die Zukunftsgestaltung braucht es neue Netzwerke und Vernetzungsstrategien, die Gestalter aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaft zusammenbringen und neben Denkräumen auch Lösungsräume in Form von Begegnungen bereitstellen. Moderne digitale Plattformen ergänzen die Debatten.

Neben der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Staates durch Maßnahmen der Sicherheit und der Bereitstellung der Infrastrukturen wird die Daseinsvorsorge eine Renaissance erleben. Allerdings muss sie ständig ihre Funktionen überprüfen und sich an neue Gegebenheiten anpassen. Die Digitalisierung eröffnet uns Chancen, schneller und zielgenauer auf Veränderungen einzugehen und damit Freude am Gestalten zu finden. Eine der zentralen Fragen lautet: Wie kann der Gestaltungsanspruch der kommunalen Politik auch in einer zunehmend digitalen Welt sichergestellt werden?

Innovationen in der Krise

Krisenzeiten setzen Kreativität frei. Lösungen werden gesucht, sie lassen keinen Aufschub zu. Teams machen Dialoge und Diskurse möglich. Grenzen von Abteilungen, Ämtern und Behörden werden durchbrochen. Krisen sind die Stunde von Innovationen. Führungskräfte ermuntern Mitarbeiter zum „Einfach machen“, setzen sich für die Reduzierung von Regelungen ein. Ganze Verwaltungen werden zur „Sand-Box“. Plötzlich gehen Dinge, die bisher nicht möglich waren.

Die Stadt Bühl im Schwarzwald bietet ihren Bürgern die Möglichkeit an, auf einer sicheren Plattform Videoschaltungen durchzuführen. Viele Menschen und Organisationen wie Vereine nutzen diese Möglichkeit. In St. Georgen sind nach nur elf Wochen über den digitalen Dorfplatz für cleveres Zusammenleben schon fast 20 Prozent der rund 13 000 Bürger miteinander vernetzt. Diese lokale Verbundenheit erleichtert im coronageprägten Geschehen die Arbeit aller Verantwortlichen in den Rathäusern, Schulen, Kitas, Vereinen und sonstigen Gemeinschaften. Das soziale Engagement stärkt das Wir-Gefühl.

Der Gemeindetag Baden-Württemberg startete gemeinsam mit dem Handelsverband Baden-Württemberg eine Initiative „Lokalhelden-BW“. Es handelt sich um ein Online-Schaufenster für die Unterstützung von Handel, Gastronomie und Dienstleistern in Baden-Württemberg während der Corona-Krise. Der Corona-Lotse des Startups Famigo versorgt die Offenburger Bürger mit wichtigen kommunalen Informationen zur Krise. Zu Maßnahmen wie der Schließung von Kindergärten, Restaurants oder öffentlichen Plätzen oder aktuellen Fallzahlen aus dem Landkreis gibt es Meldungen in Echtzeit. In der Stadt Tengen fand die erste digitale Bürgerversammlung in Baden-Württemberg statt. Sie war ein Erfolg und fand bereits weitere Nachahmer.

Franz-Reinhard Habbel

Der Autor
Franz-Reinhard Habbel, Berlin, ist Publizist und Beigeordneter a. D. des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. In seinem Blog „Kommunal.Hub“ schreibt er über Politik und Kommunikation