Breitbandausbau: Digitalrat fordert mehr Tempo

Die Bundesregierung hat 2019 einen Digitalrat eingesetzt, um einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten zu ermöglichen. Im Digitalrat kommen neun unabhängige Experten aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zusammen. Foto: Adobe Stock/be free

Peter Parycek, Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung, blickt im Interview auf das Gigabitziel des Bundes, die Ausbauverantwortung der Länder und den Beitrag der Kommunen für schnelles Internet. Sein Urteil: Die Richtung stimmt, nur an der Geschwindigkeit hapert es. 

Herr Parycek, welche Bewertung geben Sie der deutschen bald Ex-Regierung, was die Digitalisierung angeht?

Peter Parycek: Insgesamt ist sie in die richtige Richtung gegangen. Die Digitalisierung ist nicht mehr ein Fachgebiet eines Ministeriums, sie ist eine der ganz großen Querschnittsmaterien geworden. Es ist auf der politischen Ebene angekommen, dass die Digitalisierung höchste Wichtigkeit für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Aber natürlich wünscht man sich immer mehr. Dass das ein oder andere schneller umgesetzt würde. Bei einigen Themen sieht man, dass man über den Schatten gesprungen ist, zum Beispiel beim Onlinezugangsgesetz (OZG). Es ist ein für den deutschsprachigen Raum sehr untypisches Gesetz: Eine Zielbestimmung in einem Gesetz, noch dazu so klar, ist höchst unüblich. Dafür ist die Regierung auch kritisiert worden: Wie kann man verlangen, alle Verfahren zu digitalisieren? Es ist wichtig, die Maßnahmen zuerst umzusetzen, die von den Bürgern am meisten frequentiert werden. Dazu gibt es gute Studien. Auch wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht es gut aus: Geld steht zur Verfügung, die Länder arbeiten eng abgestimmt mit dem Bund zusammen und das einer für alle (EfA) Prinzip wurde etabliert. Somit wurde die Energie gebündelt und nicht jeder muss alle Verfahren selbst entwickeln.

Wie könnte das Tempo erhöht werden?

Parycek: Man hat lange gebraucht, um zueinander zu finden. Es ist einfacher, ein Projekt für sich allein zu stemmen, als eine Lösung für 15 andere Länder zu finden. Der regelmäßige Austausch der Länder war zwar etabliert, aber die enge inhaltliche operative Zusammenarbeit ist durch das OZG beschleunigt worden. Es ist aber ein klarer Erfolg, dass das EfA-Prinzip etabliert wurde. In der Schweiz ist das interessanterweise schon von Beginn an so: Die kleinen Kantone haben erkannt, dass es keinen Sinn macht, allein Services zu entwickeln. Der Ländervergleich hinkt natürlich etwas, die Schweiz ist deutlich kleiner als Deutschland.

Steht der Föderalismus der Digitalisierung im Weg?

Parycek: Nicht unbedingt. Die Nähe zwischen dem Bürger und dem Initiator der Verwaltungsleistung macht schon Sinn. Das ein oder andere Verfahren könnte aber zentralisiert werden, Stichwort Kfz-Zulassung. Das Bauverfahren macht dagegen nur auf kommunaler Ebene Sinn. Kommunen sollten sich genau überlegen, welche Verfahren zentralisiert oder abgegeben werden können.

Das Gigabitziel bis 2025 wird die Bundesregierung verfehlen. Wann glauben Sie, wird der flächendeckenden Ausbau von Gigabit-Netzen in Deutschland abgeschlossen sein?

Parycek: Ein flächendeckender Ausbau sollte meiner Ansicht nach auch kein Ziel einer Bundesregierung sein, die Verantwortung gehört auf die Landesebene. Ich brauche unterschiedliche Strategien, je nach Demografie, wirtschaftlicher Lage, Topografie und Anbieterlandschaft. Wenn sich kein Anbieter findet, muss ich es selbst betreiben, hier haben die Länder und Kommunen eine Daseinsverpflichtung. In Deutschland gibt es dabei ganz unterschiedliche Problemstellungen, je nachdem, ob ich in der Stadt lebe oder auf dem Land. In den Städten kommt beim Kunden teilweise nicht die Mbit-Rate an, die er gekauft hat, weil die Verteiler überlastet sind. Bei der Konstruktion gab es wenig Streaming und nicht das durch Covid-19 bedingte Ausmaß an Telearbeit. In strukturschwachen Gegenden ist das Erreichen der Mbit-Rate meist kein Problem, wenn das Netz vorhanden ist. Hier müssen die Länder eigene Betreibergesellschaften gründen und für den Ausbau der Infrastruktur sorgen. Manche Länder haben das schon. Sie müssen mit Geld versorgt werden.

Was sollten Kommunen zum schnellen Ausbau beitragen?

Parycek: In der Kommunalpolitik gibt es durchaus Optimierungsbedarf. Verfahren müssen gebündelt werden. Die Genehmigungsverfahren müssen in eigenem Interesse schnell durchgezogen werden. Covid-19 hat nochmal unterstrichen: Telearbeit braucht schnelles Internet auch in den Wohngebieten.

Wie sieht die österreichische Vorgehensweise aus?

Parycek: Hier ist der Breitbandausbau stärker Ländersache. Es gab eine staatliche Breitbandinitiative, um überall die 50 Mbit zu etablieren. Aber Glasfaser in jedes Dorf ist Aufgabe der Länder.

Welche Kompetenzen brauchen wir in der Verwaltung? Und wie gelingt hier der Kulturwandel hin zur digitalen Gesellschaft?

Parycek: Wir müssen lernen, Projekte anders aufzusetzen und brauchen andere Arbeitsmodelle, wie beispielsweise kleine, interdisziplinäre und diverse Teams. Nur so kann ich die nötige Expertise innerhalb der Verwaltung aufbauen, um gute Services anzubieten. Wichtig sind auch offene Innovationsprozesse unter Beteiligung der Bürger. Wie sollen die Verfahren aussehen? Welche sollten umgestaltet werden? Ich möchte Bürgermeister ermutigen zu hinterfragen, welche Verfahren auf Gemeindeebene geführt werden müssen und in welcher Form. Zeigt uns Covid-19 nicht gerade, wie einfach und dennoch zielführend Videokonferenzen sind? Ich denke, da werden harte Schnitte gesetzt werden müssen. Was auch zum Erfolg fehlt, ist eine mutigere Interpretation der Gesetze. Zudem braucht es dringend eine neue Personalpolitik.

Wie sollte diese neue Personalpolitik aussehen?

Parycek: Um die junge Generation für sich zu gewinnen, müssen Arbeitgeber umdenken. Sie wollen anders arbeiten, flexibler, mit modernen Führungskräften, mit Sinn in der Arbeit. Die Kommunen, die Covid-19 als Chance sehen und darauf aufbauend zeitlich und örtlich flexible Arbeitsmodelle einführen, werden richtig durchstarten können. Es braucht die Möglichkeit zur regelmäßigen Heimarbeit, dementsprechend im Selbstmanagement geschulte Mitarbeiter und Führungskräfte, die solche Teams auch lenken können. Eine offene, moderne Verwaltungskultur, in der ich mich einbringen kann, in der Entscheidungen im Team und auch bottom-up getroffen werden, werden hochattraktiv für die Jugend. Die Kommunen könnten eine unglaubliche Zugkraft bekommen, weil sie einfach Arbeit mit Sinn und Gestaltungsmöglichkeit bieten.

Welche Erwartungen haben Sie an die kommende Regierung bezüglich der Digitalisierung?

Parycek: Ich erwarte die konsequente Umsetzung der Vorarbeit aus den letzten Jahren. Die unattraktiven Entscheidungen sind gefallen. Jetzt geht es darum, dran zu bleiben und das Registermodernisierungsgesetz gemeinsam mit dem OZG konsequent umzusetzen.

Interview: Denise Fiedler

Zur Person: Prof. Dr. Peter Parycek ist Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung. Der Rechtsinformatiker wirkt in der Open-Government-Bewegung im deutschsprachigen Raum mit. Er leitet seit 2017 das Kompetenzzentrum Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS Institut. Zudem verantwortet er seit 2015 das Departement für Electronic-Governance der Donau-Universität Krems.