Branche mit Perspektive

In der Gesundheitswirtschaft zeigt sich ein Wachs­tumstrend, der auch in den nächsten Jahren anhalten wird. Ein wichtiger Treiber ist die Digitalisierung. Um hier das wirtschaftliche Potenzial zu erschließen, bedarf es der Förderung der Netzwerkstrukturen und des informellen Austauschs zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.

Gesundheit belegt im individuellen Werteindex in Deutschland den ersten Platz. Sie ist zudem ein großes und dynamisches Gestaltungsfeld für die Wirtschafts-, Innovations- und Strukturpolitik. Hier spiegelt sich wider, dass gesundheitsbezogene Branchen und Gestaltungsfelder in den letzten Jahren den Strukturwandel nachhaltig geprägt haben. Das reicht von der ambulanten und stationären Versorgung über die Medizintechnik und die Gesundheitshandwerke bis hin zum Service-Wohnen.

Während früher Gesundheit, aufgrund der mit der Gesundheitsfinanzierung verbundenen hohen Sozialabgaben, vornehmlich als Last für Wirtschaft und Gesellschaft gesehen wurde, ist ihre Schlüsselstellung für die Schaffung von Wachstum und Beschäftigung mittlerweile anerkannt. Zudem bewirkt sie, dass Arbeitsplätze in anderen Sektoren geschaffen werden.

So ist Gesundheit zum Beispiel eines der bedeutsamsten Anwendungsfelder für Hightech-Lösungen – von Big Data bis hin zu den Biotechnologien („Life Sciences“). Vor allem um dieses ökonomische Potenzial zu betonen, ist von der „Gesundheitswirtschaft“ die Rede. In diesem Sektor arbeiten mittlerweile rund 15 Prozent der Erwerbstätigen.

Anhaltender Bedeutungsgewinn

Verschiedene Entwicklungstendenzen führen im Ergebnis zu einer wachsenden Bedeutung dieses Sektors. Doch selbst wenn Gesundheit als Thema für eine integrierte Wirtschafts-, Technologie- und Gesundheitspolitik erkannt wird, werden Maßnahmen oft nur halbherzig durchgehalten, obwohl beispielsweise neue Versorgungsstrukturen auch positive wirtschaftliche Folgewirkungen bewirken.

Als positive Einflussfaktoren für eine Expansion der Gesundheits- und Sozialwirtschaft wirken ganz allgemein der demografische Wandel, der medizinisch-technische Fortschritt, die Digitalisierung und das wachsende Konsumenteninteresse an Lebensqualität. Weitere Effekte gehen aus vom sozialen und kulturellen Wandel (Individualisierung und Pluralisierung) sowie vom Trend zur Eigenverantwortung. Die Mehrheit der Forscher geht davon aus, dass der Bedeutungsgewinn der Gesundheitswirtschaft auch in den nächsten Jahren anhalten wird.

Unübersehbar fungiert die Digitalisierung als Treiber für die Gesundheitswirtschaft. Die Elektronische Patientenakte wird künftig mehr umfassen als Laborwerte und Röntgenbilder und mehr bieten als die Möglichkeit, sich via Smartphone mit den Ärzten und Krankenhäusern dieser Welt zu verbinden. So könnten sogenannte Electronic Health Companions Gesunde und Kranke wie ein Leibarzt durch ihren Alltag begleiten.

Mangelnde Kooperation als Problem

Ein weiterer Treiber der Entwicklung ist das vernetzte Zuhause. Rund zwei Drittel der Senioren sind heute Internet unterwegs, und viele Ältere wollen E-Health-Technologien nutzen, um ihre Gesundheit selbst zu managen. Andererseits zeigt sich bei älteren Menschen, gerade Hochbetagten, eine Angst, wenn es um das Internet und generell digitale Techniken geht. Die Angst vor Kontrolle nimmt jedoch dann ab, wenn das Gefühl, im Notfall Hilfe zu erhalten, durch digitale Assistenz verstärkt wird.

Einer breiten Digitalisierung im Gesundheitswesen steht in Deutschland indes zum Beispiel die mangelnde Kooperation der beteiligten Akteure entgegen. Die Anbieter technischer Systeme müssen bislang fehlende Standards entwickeln, die Interoperabilität von Systemen sicherstellen und stärker auf die aktuellen Wünsche der Nutzer und deren kognitive Fähigkeiten eingehen.

Es gibt aber auch „hausgemachte“ Probleme: Lange war zum Beispiel die Telemedizin technologiegetrieben und „blind“ gegenüber Kompetenzen und Traditionen der Mediziner und Pflegekräfte. Zudem ist die Angebotspalette bei technischen Assistenzsystemen unübersichtlich. Die Anerkennung als Regelleistung fehlt fast ausnahmslos. Eine Umorientierung vom Prinzip der Statuskonservierung in Richtung auf eine Nutzung der Innovationspotenziale ist notwendig. Im Gesundheitssektor gibt es aber stark unterschiedliche Interessen und „Vetomächte“ gegenüber Innovationen. Integrierte Versorgungslösungen müssen sowohl auf Bundesebene verankert als auch durch viele lokale Beispiele unterlegt werden.

Die Gesundheitswirtschaft hat sich auch in „altindustriellen“ Regionen als zentrale Zukunftsbranche etabliert. Ein prominentes Beispiel ist Pittsburgh (USA), wo sich ein weltweit anerkanntes Zentrum entwickelt hat: Seit den 1980er-Jahren stieg in diesem Sektor die Zahl der Beschäftigten von damals knapp unter 70.000 auf heute rund 190.000 Personen.

Die Förderung der Netzwerkstrukturen und des informellen Austausches zwischen der Politik, der Wissenschaft und der Wirtschaft war ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dabei wurde bewusst auf die bereits vorhandenen Stärken gesetzt. Die Universitäten akquirierten erfolgreich staatliche Fördergelder und trieben bereits früh die Forschung in der Biotechnologie und im medizinischen Bereich voran. Dieser langfristige Ansatz trägt nun Früchte.

Übergreifende Strategie erforderlich

Es zeigt sich dort, dass es einer institutionenübergreifenden Strategie bedarf, die einerseits die Akteure aus den unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt und ihnen den Mehrwert dieses gemeinschaftlichen Ansatzes vermittelt und andererseits auf langfristiges Handeln ausgerichtet ist. Schnittstellen zwischen Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft müssen besser gemanagt werden. Das Vorhandensein von Universitäten, praxisorientierten Hochschulen und Forschungseinrichtungen reicht nicht aus, um wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Erfolg zu haben. Synergien müssen erzeugt und kommuniziert werden. Funktionierende Kooperationen aus dem Wissenschaftsbereich können in verschiedene Kompetenzfelder ausgeweitet werden.

Zu einem wirksamen regionalen Innovationsmonitoring gehört es, Transparenz zu schaffen über Gestaltungschancen, -ansätze und -erfahrungen auf Basis einer geteilten Standortanalyse. Das Profil zentraler zukünftiger Leitmärkte und deren Erfolgsfaktoren müssen formuliert werden. Es gilt, Standards für Lösungen herzuleiten, an denen sich die Praxis bei Gestaltungsarbeiten orientieren kann. Auf einer Dialogplattform sollten (potenzielle) Anbieter mit Akteuren aus anderen Bereichen kommunizieren können. Bisher geleistete Maßnahmen sind auf ihre Wirksamkeit hin zu bewerten.

Insbesondere die Verbindung zwischen Technik und gesundheitlicher Versorgung stellt ein attraktives Zukunftskonzept dar, das auch sektorenübergreifend Perspektiven bietet („Welfare Technologies“). Die Verknüpfung von selbstständigem Leben im Alter mit Medizintechnik und Telemedizin könnte exemplarisch ein interessantes Handlungsfeld für Wertschöpfungsallianzen im Zuge des demografischen Wandels werden.

Rolf G. Heinze

Der Autor
Prof. Dr. Rolf G. Heinze ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft sowie wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (INWIS) der Ruhr-Universität Bochum