Bauen in Überschwemmungsgebieten

Bauen im Überschwemmungsgebiet wird mit einem Gewässerausbau möglich, der das Rückhaltevermögen steigert: Dieses Verfahren hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim grundsätzlich gebilligt. Foto: Adobe Stock/Call Of The Wild

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim öffnet Wege für das Bauen in Überschwemmungsgebieten. Rechtsanwalt Tobias Roß erläutert den Richterspruch.

Städte und Gemeinden sollen neue Baugebiete ausweisen, um den dringend benötigten neuen Wohnraum zu schaffen. Diese Gebiete sollen aber so geplant werden, dass dort sicheres Wohnen möglich ist. Wirksamer Hochwasserschutz ist dabei ein zentraler Aspekt.

Das Recht hält für den Konflikt zwischen Wohnen und Hochwasserschutz Mechanismen bereit, die sich im Wesentlichen wie folgt beschreiben lassen: Gemäß § 78 Wasserhaushaltsgesetz ist es verboten, in festgesetzten Überschwemmungsgebieten neue Baugebiete im Außenbereich auszuweisen sowie bauliche Anlagen zu errichten.

Zwar definiert das Gesetz Ausnahmemöglichkeiten – sie verlangen jedoch eine Vielzahl schwer zu erfüllender, schwammiger Voraussetzungen und bergen aus diesem Grund rechtliche Risiken.

Präzedenzfall in Freiburg

Umso erfreulicher ist es für betroffene Kommunen, dass aktuell der Verwaltungs-gerichtshof (VGH) Mannheim einen Weg aufgezeigt hat, wie die Ausweisung von dringend benötigtem Wohnraum auch in überschwemmungsgefährdeten Gebieten möglich werden kann (Az.: 3 S 3940/21 vom 09.02.2022).

Anlass für die Entscheidung sind die Planungen der baden-württembergischen Stadt Freiburg im Breisgau, den neuen Stadtteil Dietenbach mit Wohnungen für insgesamt 16.000 Menschen zu schaffen. In einem Bürgerentscheid hatten sich rund 60 Prozent der Menschen für das Projekt ausgesprochen.

Das Problem: Der neu zu entwickelnde Stadtteil liegt in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet, in dem ein Hochwasser statistisch einmal in 100 Jahren erwartet wird. Verhindert nun dieses Überschwemmungsgebiet die Ausweisung als Wohngebiet oder lässt sich das Verbot durch einen Gewässerausbau überwinden?

Rückhaltevermögen steigern

Die 230.000-Einwohner-Stadt plant unter anderem Längsdämme, die eine 50 bis 150 Meter breite Bachaue fassen – ein Jahrhunderthochwasser soll durch ein Meter hohe, quer zum Strom verlaufende und in die Landschaft eingepasste Wälle abgepuffert werden.

Zudem sind ökologische Aufwertungsmaßnahmen vorgesehen. Bauen soll im Überschwemmungsgebiet also dadurch ermöglicht werden, dass mit Hilfe des Gewässerausbaus das Rückhaltevermögen des Gewässers gesteigert und so das Überschwemmungsgebiet beseitigt wird.

Der VGH Mannheim hat dieses Vorgehen nun grundsätzlich gebilligt. Für die Richter ist die Schaffung von Wohnraum „ein besonders gewichtiges Ziel“. Das Gericht hält es deshalb für zulässig, durch planfeststellungsbedürftigen Gewässerausbau das Bau- und Planungsverbot in Überschwemmungsgebieten zu überwinden.

Einem darauf gerichteten Planfeststellungsbeschluss könne die Planrechtfertigung nicht abgesprochen werden. Schließlich sei auch nicht jeder Eingriff in natürliche Rückhalteflächen zugleich deren „Zerstörung“ – nur diese sei gesetzlich verboten.

Mehr rechtliche Möglichkeiten

Zwar ist die Entscheidung bisher nur ein Beschluss im Eilverfahren. Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, dass das Gericht von seiner gut und ausführlich begründeten Auffassung noch einmal abrückt.

Was folgt daraus für die Kommunen? Zunächst einmal wird der kommunale Handlungsspielraum bei der Ausweisung von Wohnflächen vor Ort in Überschwemmungsgebieten deutlich erweitert.

Wo bisher häufig der rechtsunsichere Weg über Ausnahmen und Befreiungen beschritten wurde, kann es sich nun anbieten, gestützt auf die neue Entscheidung die Perspektive zu wechseln und zu prüfen, ob nicht mittels – ökologisch begleiteter – Gewässerausbau-maßnahmen die Bebaubarkeit eines Überschwemmungsgebietes hergestellt werden kann. Was Überschwemmungsgebiet war, muss es also nicht bleiben.

Fachliche Begleitung und juristische Beratung

Eingebettet werden kann ein solches wasserrechtliches Planfeststellungsverfahren – wie es in Freiburg geschehen ist – in eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach dem Baugesetzbuch samt Satzung.

Entscheidet sich eine Kommune dafür, ins bisherige Überschwemmungsgebiet „hineinzuplanen“, ist eine enge fachlich-ökologisch-hydrologische Begleitung ebenso ratsam wie eine juristische Beratung zum Ineinandergreifen der unterschiedlichen Planungsverfahren, die gerade in ihrem Zusammenwirken recht komplex sein können.

Ob tatsächlich im Überschwemmungsgebiet Wohnraum entstehen soll, bleibt letztlich eine kommunale Entscheidung, die vor Ort zu treffen ist. Die (rechtlichen) Möglichkeiten der Kommunen haben jedoch mit der Entscheidung aus Mannheim deutlich zugenommen. Tobias Roß

Der Autor: Tobias Roß ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Dombert in Düsseldorf. Er berät Kommunen zu Fragen des Bau- und Planungsrechts sowie des Umweltrechts mit besonderem Schwerpunkt im Naturschutz- und Wasserrecht.