Ob und wie das Zusammenleben in unserem Gemeinwesen gelingt, entscheidet sich in erster Linie lokal. Das Miteinander muss gelingen über soziale, ethnische und religiöse Hintergründe hinweg. Lebenswerte Kommunen sind damit auch
die Wurzel einer lebenswerten, nationalen und internationalen Gemeinschaft.
Es existieren große gesellschaftliche Herausforderungen, die alle Kommunen gleichermaßen betreffen. Dazu zählen insbesondere Globalisierung, Klimawandel, demografischer Wandel und eine zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft. Aber nicht alle Kommunen sind in gleicher Weise von diesen Entwicklungen betroffen. Mit Kommunen ist es wie mit Menschen: Jede(r) ist anders. Die Kommune muss daher ihren eigenen Weg im Umgang mit diesen Herausforderungen finden. Und gerade das macht den Charme der kommunalen Ebene aus.
Artikel 28 Grundgesetz garantiert Kommunen „subsidiäre Allzuständigkeit“. Zwar sind sie die unterste föderale Ebene und müssen sich damit im Rahmen bundes- und landesgesetzlicher Regeln bewegen. Auf der anderen Seite erlaubt Art. 28 den Kommunen jedoch, überall dort eigenständig zu handeln, wo Europäische Union, Bund und Länder nicht explizit zuständig sind.
In den Jahren 2015 und 2016, als weit mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sind die Kommunen über sich hinausgewachsen. Bürger, Verwaltungen, Zivilgesellschaft und auch viele Unternehmen haben gezeigt, was eine lokale Gemeinschaft leisten kann, die sich jenseits von Zuständigkeiten verantwortlich fühlt, die agiert und nicht lamentiert.
Auf nationaler Ebene hat sich der Wind seitdem gedreht. Die aktuelle politische Debatte – nicht nur in Deutschland – ist geprägt durch Lamento, eine zunehmende Radikalisierung von Standpunkten, einem Verlust an Werten und an Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der politischen und intellektuellen Verantwortungsträger.
In seinem überaus lesenswerten Buch „If majors ruled the world“ (Würden Bürgermeister die Welt regieren) stellt Benjamin Barber – Berater von Bill Clinton und Roman Herzog – die These auf, dass kommunale Verantwortungsträger, nicht nationalstaatliche Akteure die problemlösenden Instanzen der Zukunft sind. Denn während Staatschefs verhandeln, müssen Bürgermeister handeln. Und sie tun dies sowohl vor Ort als auch in internationalen Netzwerken.
Ökonomische Verflechtungen, Klimawandel, Migration und Flucht ebenso wie (digitale) Medien haben die Welt längst zu einem „globalen Dorf“ gemacht. Kontinente, Länder und auch Städte und Dörfer sind eingebunden in globale Entwicklungen, denen sie sich nicht entziehen können. Die Kommune der Zukunft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich dieser Verantwortung stellt.
Mit der Charta von Aalborg verpflichteten sich fortschrittliche Kommunen aus der ganzen Welt schon im Jahr 1994, in einen Prozess für nachhaltige Entwicklung einzutreten. 2004 wurden die entsprechenden Handlungsfelder in den sogenannten Aalborg Commitments präzisiert. Über 1000 Teilnehmer aus mehr als 45 Ländern waren an der Formulierung beteiligt.
Gespräch auf Augenhöhe
In der Einleitung zu den Commitments heißt es: „Wir stehen vor überwältigenden Herausforderungen: Arbeitsplätze in einer wissensbasierten Volkswirtschaft zu schaffen, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, effektiven Schutz unserer Umwelt sicherzustellen, auf demographische Veränderungen zu reagieren und mit kultureller Vielfalt umzugehen, ebenso wie Konflikte zu verhindern und Frieden in vormals kriegerisch verfeindeten Städten und Gemeinden nachhaltig zu sichern. Wir stellen uns diesen Herausforderungen und nehmen unsere Verantwortung wahr.“
Nachhaltigkeit ist somit ein ganzheitliches und wertebasiertes Konzept. Nachhaltig agierende Städte und Gemeinden sind demzufolge:
solidarische und partizipative Kommunen, die die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen,
generationengerechte Kommunen, die die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen gleichermaßen in den Blick nehmen,
weltoffene Kommunen, die sich ihrer globalen Verantwortung stellen und Vielfalt als Chance begreifen,
engagierte Kommunen, die sich auch jenseits von Zuständigkeiten verantwortlich fühlen.
Dass Bürgermeister die Welt regieren, ist sicher eine – wenn auch vielleicht attraktiv erscheinende – Utopie. Aber Begegnung und Gespräch auf Augenhöhe in der aktuellen politischen Debatte ist das Mindeste, was Kommunen von Bund und Ländern erwarten sollten.
Kirsten Witte
Die Autorin
Kirsten Witte ist bei der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, Direktorin für das Programm Lebenswerte Kommune