„Zu wenig Zeit für Familie“

Wenn es darum geht, Führungspositionen zu bekleiden, ziehen Frauen auch heute
noch oft den Kürzeren. Fotos: Adobe Stock/Wolfilser

Noch immer ist der Frauenanteil in Führungspositionen von Unternehmen gering. Die sogenannte Frauenquote soll das ändern. Doch wie sieht es im öffentlichen Dienst aus? Gleichstellungsbeauftragte Ursula Matschke klärt auf.

Was glauben Sie, warum Männer Frauen gegenüber bevorzugt werden, wenn es um Führungspositionen geht? Ist das nur im potenziellen Ausfall durch Mutterschutz und Erziehungsurlaub begründet?

Ursula Matschke: Nein, das wäre zu kurz gesprungen. Die Hintergründe sind vielschichtiger. Im Bereich der Medizin zum Beispiel: Dieses Fach studieren mehr junge Frauen als Männer, aber auf den Chefarztpositionen finden wir sie nicht mehr. Bis zur Personalauswahl ist schon viel schiefgelaufen: Fehlende Veröffentlichungen, Wunsch nach geregelter Arbeitszeit wegen der Familie, kein Netzwerk, mangelnde Mobilität. Frauen bewerben sich oft gar nicht auf Führungspositionen mit eindeutigen Argumenten: zu viel Stress, zu wenig Zeit für die Familie. Eine Bevorzugung der Männer wegen der klassischen Ausfallzeiten von Frauen greift heute meines Erachtens nicht mehr. Das Scheitern von Frauen ist mehrdimensional und biografisch beeinflusst.

Wie ist es um den Frauenanteil in Führungspositionen in Tätigkeiten des öffentlichen Sektors bestellt – beispielsweise für die Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart gesprochen?

Matschke: Zunächst ist es wichtig, Führung zu definieren. Die klassische Definition ist: „Führung mit Personalverantwortung“. Der Anteil liegt in Stuttgart dann sehr hoch, wenn ich darunter auch die Leitung aller Kindertagesstätten subsumiere. Im öffentlichen Dienst liegt der Frauenanteil bei knapp 80 Prozent. Interessanterweise findet sich das weibliche Geschlecht immer mehr im technischen Bereich von Verwaltungen, weil dort die Bezahlung im Vergleich zur freien Wirtschaft zwar schlechter ist, aber die Arbeitszeiten familiengerecht. Das ist attraktiv für Frauen, aber uninteressant für Männer. Führungspositionen, die nicht mit Personal-, sondern mit Projektverantwortung verbunden sind, bieten Frauen gute Chancen – gerade im wissenschaftlichen Bereich.

Was muss sich ändern, damit die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Berufsleben tägliche Praxis wird?

Matschke: Die Vielschichtigkeit von Lebensentwürfen bei Frauen und Männern verlangt entsprechende Konzepte und Antworten in der Berufswelt. Gleichberechtigung wird davon abhängen, inwieweit möglichst viele passende Lösungen gefunden und angeboten werden – von der Politik, von der Wirtschaft, von der Gesellschaft. In meinem eigenen Team arbeite ich mit vielen Kollegen, die gemeinsam in ihrer Partnerschaft täglich neu aushandeln, wie sie ihr Familien- und Berufsleben managen.

 

Zur Person

Ursula Matschke ist Leiterin der Abteilung für Chancengleichheit und Diversity bei der Stadt Stuttgart

 

 

 

 

 

 

 

 

Interview: Olga Lechmann