Was können Lärmschutzwände?

Sie können ein Blickfang sein, für Strom sorgen, Wasser erwärmen oder die Luft reinigen: DVLV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Johannink bricht eine Lanze für Lärmschutzwände, die viel besser seien als ihr Ruf – und erklärt, was er sich von denjenigen in den Kommunen wünscht, die sich um Lärmschutz kümmern.

Nicht „einfach“ nur eine Wand neben der Schiene aufstellen, sondern am besten auch Innovationen der Branche testen: Das ist der Wunsch des DVLV an die Kommunen. Foto: Adobe Stock/nokturnal

Lärm kann belasten oder sogar krank machen. Allein der Straßenverkehr ist vielerorts aber nach wie vor laut – ist das Wissen um negative Folgen tatsächlich bei den Verkehrsteilnehmern angekommen?

Hans-Jürgen Johannink: Mediziner sind hier sehr klar: Lärm hat negative Auswirkungen zum Beispiel auf das Herz-Kreislauf-System. Aus meiner Sicht ist das auch tatsächlich bei vielen Menschen angekommen. Aber Mobilität ist ein hohes Gut, Menschen wollen und müssen mobil sein, daran wird sich auch zukünftig sicherlich nichts ändern. Güterverkehr brauchen wir ebenfalls. Die Frage ist, wie wir individuelle Mobilität und den Güterverkehr gestalten – und wenn sich Lärm nicht vermeiden lässt, sollte man vor ihm schützen.

Ihr Verband hat insbesondere Lärmschutzwände im Blick. Wo sehen Sie die größten Hindernisse dafür, sie zu errichten?

Johannink: Zum einen fehlt oft die Akzeptanz bei den Anwohnerinnen und Anwohnern – das muss aber nicht sein, hier kann man vieles tun. Zum anderen fehlt in Kommunen allzu häufig das Bewusstsein dafür, dass Lärmschutzwände keine Gartenzäune sind, sondern Ingenieurbauwerke, die viel Wissen und Erfahrung benötigen.

Was meinen Sie damit?

Johannink: Ich habe das selbst direkt vor Ort erlebt, als ich Bauleiter im Lärmschutzbereich war. Damals haben Unternehmen, wenn es Zeit und Kapazität dafür gab, zwischendurch auch mal Lärmschutzwände bauen wollen. In der Regel haben sie das genau einmal getan. Denn tatsächlich kann man das nicht nebenbei machen, ohne entsprechendes Know-how.

Was macht diese Bauprojekte anspruchsvoll?

Johannink: Um Lärmschutzwände zu errichten, geht man tief ins Erdreich. Man braucht Materialien, die der Witterung standhalten, muss im Vorfeld die Einzelteile genau passend planen und termingerecht produzieren, muss auch schon mal weite Strecken bauen und kann zwischendurch nicht einfach etwas ändern. Es gibt sehr hohe Sicherheitsanforderungen, insbesondere an der Schiene, aber auch an der Straße. Das alles fügt sich zu einer sehr komplexen Aufgabe zusammen.

Was sollten die Protagonisten in den Kommunen mitbringen?

Johannink: Aus Verbandssicht wäre es enorm wichtig, dass sie Stellen einrichten, die mit allen Aspekten des Lärmschutzes vertraut sind, die also auch wissen, was beim Thema Lärmschutzwand zu berücksichtigen ist. Es geht darum, die Anwohnerinnen und Anwohner zu schützen – man kann aber nicht alles an jedem Ort umsetzen. Für die Akzeptanz von Lärmschutzwänden muss ebenfalls etwas getan werden. Zudem muss man sie warten und pflegen und natürlich auch finanzieren. Um den ausschreibenden Stellen eine umfangreiche technische Hilfe an die Hand zu geben, hat unser Verband gemeinsam mit dem DIN e.V. ein Standardleistungsbuch-Bau (STLB-Bau) für Lärmschutzwände entwickelt. Hier sind vorformulierte standardisierte Ausschreibungstexte als Arbeitsvorlage zum Beispiel für Kommunen hinterlegt.

Sie haben es schon angesprochen: Die Kosten sind ein sehr wichtiges Thema. Wie kann man Lärmschutzwände finanzieren?

Johannink: Es gibt Fördermöglichkeiten, zum Beispiel hält das Lärmsanierungsprogramm des Bundes rund 60 Millionen Euro pro Jahr für Lärmschutz an der Straße bereit. Das wird aber meist nur zur Hälfte ausgeschöpft. Hier könnten sich Kommunen deutlich mehr Unterstützung für Lärmschutzwände holen. Das gilt auch für die verschiedenen Ausführungsmöglichkeiten. Es müssen also auf keinen Fall triste Wände sein, die beschmiert und von den Anwohnern nicht akzeptiert werden.

In Innenstädten gibt es in der Regel nur wenige Möglichkeiten, Lärmschutzwände aufzustellen. Wo kommen Kommunen bei diesen Bauwerken ins Spiel?

Johannink: Bei Straßen in Randbezirken, zudem ist der Schienenbereich wichtig. Kommunen haben hier sehr viel mehr Möglichkeiten als zum Beispiel die Autobahn GmbH des Bundes aufgrund ihres teilweise engen Reglements.

Was ist möglich?

Johannink: Für die Autobahn GmbH sind etwa PV-Anlagen derzeit noch keine Option, weil der Bund nicht als Energieversorger auftreten will. Kommunen haben hier mehr Spielraum und könnten genau das tun: mit Lärmschutzwänden Strom erzeugen oder gar warmes Wasser mit Solarthermie. Das ist insgesamt unser Anliegen: Kommunen könnten im Bereich Lärmschutzwand offener sein und auch etwas ausprobieren. Die Unternehmen der Lärmschutzbranche sind sehr aktiv und arbeiten an Innovationen. Das macht aber nur Sinn, wenn ihre Ideen und Konzepte auch abgerufen werden.

Was geht neben Lärmschutzwänden?

Johannink: Zum Beispiel sogenannte Diffraktoren an den Straßenrändern, die in Höhe des Straßenbelags eingesetzt werden. Oder die Lärmschutzplanke, die geplant werden, wo kein Platz für Lärmschutzwände ist.

Und wenn es Lärmschutzwände sein können: Was ist hier möglich?

Johannink: Tatsächlich gibt es eine enorme Bandbreite. Man kann zwischen unterschiedlichen Werkstoffen wählen, kann neben den üblichen Materialien wie Alu und Beton auch Glas und Holz verwenden und Erdwälle oder Gabionen errichten, kann die Materialen auch kombinieren und individuell gestalten. Selbst ein Digitalaufdruck ist möglich. Lärmschutzwände können auch begrünt werden. Zudem gibt es längst Ideen nicht nur für Begrünung, sondern zum Beispiel auch für Luftreinigung. Mit einer Lärmschutzwand kann man also vielerlei verbinden – und eine gute Gestaltung ist für die Akzeptanz sehr wichtig.

Im Technologiepark in Mühldorf am Inn wurde eine 45 Meter lange Lärmschutzwand errichtet. Worum geht es dort?

Johannink: Das ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Bahn mit Herstellerfirmen unseres Verbands, das von der Europäischen Union gefördert wird. Dort gibt es auf wenigen Metern sehr viel von dem, was auch für die Gestaltung an der Schiene möglich ist. Man kann es sich anschauen, man kann es anfassen, man kann vergleichen und sich so ein Bild der möglichen Optionen schaffen.

Interview: Sabine Schmidt


Zur Person

Hans-Jürgen Johannink ist Geschäftsführer beim DVLV – Deutscher Verband für Lärmschutz an Verkehrswegen e.V.



Jede Menge Möglichkeiten

Eine Wand ist nicht gleich eine Wand – Lärmschutz geht in vielfältigen Ausführungen und Varianten.

  • Unterschiedliche Systeme: zum Beispiel Lärmschutzwände, Gabionenwände, Wände mit Photovoltaik.
  • Unterschiedliche Werkstoffe: zum Beispiel Alu, Beton, Glas, Kunststoff, Holz, Stein.
  • Unterschiedliche Gestaltung: Die Möglichkeiten reichen von durchsichtigen Glaskonstruktionen bis zu dicht bewachsenen Pflanzenwänden.