Visuelle Barrierefreiheit für Senioren

Eine kontrastreiche, farbige Gestaltung macht Wesentliches für ältere Menschen wieder erkennbar. Foto: Brillux

Neben baulicher Barrierefreiheit spielt visuelle Barrierefreiheit durch ein entsprechendes Farbkonzept die entscheidende Rolle bei der Ausstattung eines Wohnumfeldes für Senioren.

Mehr als 17 Millionen Deutsche sind aktuell über 65 Jahre alt. Gut jeder Fünfte hat damit das Rentenalter überschritten. Der Anteil der Älteren an der deutschen Gesamtbevölkerung wird allen Prognosen nach noch deutlich steigen: 2030 wird demnach jeder Vierte über 65 Jahre alt sein, 2060 sogar jeder Dritte.

Neben den Maßnahmen, die altersbedingte Bewegungsdefizite kompensieren helfen, sind auch Gestaltungen gefordert, die Problemen begegnen, die unter älteren Menschen weit verbreitet sind: Seheinschränkungen. Sichere Orientierung im Raum ist immer mit gutem Sehen verbunden. Doch die natürlichen Alterungsprozesse machen auch vor dem Auge nicht halt. Eiweißablagerungen im Auge trüben die Linse und führen zur Lichtstreuung und Blendung. Die Verringerung des Pupillendurchmessers hat Helligkeitsverlust zur Folge. Gesichtsfeldeinengungen und die zunehmende Minderung der Augenbewegung bewirken eine Verringerung des Sehwinkels. Der Graue Star ist die wohl bekannteste – aber auch die einzige durch eine OP behebbare – Augenkrankheit.

Die Anzahl der Senioren mit Seheinschränkungen ist also extrem hoch: Allein in Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen unter der altersbedingten Makula-Degeneration, einer Augenkrankheit, die am Ende zu Erblindung und davor schleichend zu verschwommener, kontrastloser visueller Wahrnehmung führt. Hierbei kommt es zu einem fortschreitenden Verlust der Sehkraft im Bereich des schärfsten Sehens, der Makula. Im Alter von 65 Jahren ist etwa jeder Fünfte und im Alter von 80 Jahren bereits jeder Dritte von dieser Krankheit betroffen. Der nachlassende Sehsinn im Alter hat unterschiedliche Auswirkungen auf die visuelle Wahrnehmung: Die Sehschärfe nimmt ab, die Blendempfindlichkeit erhöht sich und die Farbwahrnehmung verändert sich.

Deutlich sichtbare Kontraste werden wichtiger. Im Alter benötigt man daher daher viel mehr Licht – man geht von einen ums Dreifache erhöhten Lichtbedarf aus, den ein 70-Jähriger verglichen mit einem 20-Jähigen hat – und ein modifiziertes Farbkonzept, um sich in Räumen sicher orientieren zu können. Dies ist natürlich auch im Sinne einer detailliert durchdachten Barrierefreiheit wichtig, wie sie der Gesetzgeber in der DIN 18040 (Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude) und der DIN 32975 (Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung) vorgibt.

Kontraste sind lebenswichtig

Gesunde Augen haben keinerlei Schwierigkeiten, einen zarten Pastellton von gebrochenem Weiß zu unterscheiden, Licht und Schatten voneinander zu trennen oder bauliche Barrieren zu erkennen, die sich farblich wenig von ihrem Umfeld abheben. Ganz anders ist das Bild, das sich seheingeschränkten Menschen bietet. Vereinfacht gesprochen, nehmen sehr viele von ihnen die Welt durch einen Schleier wahr, der Dunkles verdunkelt und Helles überstrahlen lässt, Farben verfälscht und damit Oberflächen schlecht unterscheidbar macht. Auf einmal tun sich visuelle Barrieren auf, die sich für Betroffene extrem anstrengend, verunsichernd und mindernd auf die Lebensqualität auswirken sowie – durch die dadurch entstehende Gangunsicherheit – Unfallgefahren heraufbeschwören. Doch mit dem entsprechenden Farbwissen kann man hier wirksam entgegensteuern.

Der Schlüssel liegt in einer kontraststarken farbigen Gestaltung, die Wesentliches für ältere Menschen wieder sichtbar macht. Angewendet als Akzentuierung von Etagen, der Betonung von Türen oder als Markierung von baulichen Hindernissen wie Raumsäulen oder Treppenstufen, entsteht für Betroffene wieder eine klar wahrnehmbare Raumstruktur, in der sie sich trotz ihrer Einschränkung sicher bewegen können. Dieses Kontrastprinzip sollte man bis hinein in jeden Funktionsbereich nutzen – selbst im Bad. Denn die übliche weiße Badkeramik vor weißen Fliesen ist für Menschen mit Seheinschränkungen schlecht differenzierbar. Eine einfache dunkle Wandfläche hinter Waschbecken oder Toilette löst dieses Problem wirkungsvoll. Ebenso sollten sich sämtliche Haltegriffe in der Dusche und am Behinderten-WC deutlich erkennbar absetzen.

Auch auf Licht und Farbeigenschaften kommt es an

Ebenso wichtig wie eine kontrastreiche Gestaltung ist die fachkundige Auswahl der Farbtöne und Oberflächenqualitäten, mit denen ein altersgerechtes Farbkonzept umgesetzt wird. Zwei Aspekte sind dabei zentral: die veränderte Farbwahrnehmung und die höhere Blendempfindlichkeit. Durch die altersbedingte Eintrübung der Linse infolge Stoffwechselablagerungen wird die Umwelt kontrastärmer und farbloser, matter und oft sogar verzerrter wahrgenommen. Man kennt dies vom Grauen Star, von dem etwa 75 Prozent aller Menschen über 65 Jahre betroffen sind. Um sich gut orientieren zu können, benötigen sie ausreichende Helligkeitsunterschiede. Aufgrund der Linseneintrübung und weiterer Sehdefizite reagieren ältere Menschen empfindlich auf helle Lichtreflexionen. Sie werden davon schnell geblendet.

Großflächige, bis zum Boden reichende Fenster sind wegen der Blendwirkung ebenso ungünstig wie starke Lichtwürfe aus sich oben befindenden Fenstern. Beides sollte man durch  Verschattungsanlagen vermeiden. Glänzende Fußböden oder auch großflächige, glänzende Wandbeschichtungen sind deshalb in einem altersgerecht gestalteten Wohnumfeld kontraproduktiv, matte Beschichtungen dagegen empfehlenswert. Und natürlich muss bei jedem farbigen Anstrich auch auf Qualitäten wie Strapazierfähigkeit und Reinigungsfreundlichkeit geachtet werden, damit die Gestaltungen in den öffentlichen und privaten Bereichen des altersgerechten Wohnhauses dauerhaft bestehen bleiben.

Judith Engmann, Farbdesignerin Brillux Farbstudio Ruhrgebiet, www.brillux.de