Der Online-Handel fordert die Kommunen heraus. Sie brauchen Konzepte, um den Lieferverkehr zu steuern und negative Effekte auf Bewohner, Umwelt und Einzelhandel zu begrenzen. In einer integrierten Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik lassen sich vielfältig existierende Handlungsoptionen untersuchen.
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft wandeln sich auch der Handel und die Verteilung von Waren. Der wachsende Online-Handel kann als einer der aktuell markantesten Trends im Konsumverhalten angesehen werden. Immer mehr Waren werden nicht mehr stationär gekauft, sondern online bestellt. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass nicht nur das Segment der klassischen Online-Güter wie Bücher, Medien oder Mode, sondern auch Güter des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel oder Drogerieartikel, die sogenannten Fast Moving Consumer Goods (FMCG), zunehmend Marktanteile gewinnen.
Bis 2030 ist mit einer Verdoppelung von Business-to-Consumer-Paketsendungen zu rechnen. Bestellen, Abholen, Kaufen, Informieren oder Zurückgeben existieren immer mehr als hybride Formen und finden raum- und zeitunabhängig Eingang in das Einkaufsverhalten der Menschen. Zwar wird die Wachstumsdynamik durch die Innovationskraft des Offline-Handels (Multi- und Cross-Channel-Strategien) gebremst, dennoch sind fundamentale Auswirkungen auf Logistik, Städtebau und Verkehr sowie die städtischen Infrastrukturen zu beobachten. Das setzt Kommunen unter Druck.
Eine besondere Herausforderung im Zusammenhang mit der dynamischen Entwicklung des Online-Handels ist der starke Anstieg von Kurier-, Express- und Paketdiensten (KEP). Dieser Anstieg bezieht sich weniger auf die großen Einzelhandelszentren der Kernstädte, sondern vollzieht sich zunehmend dezentralisiert in der Fläche. Vor allem ist ein Anstieg von KEP-Verkehren in den Wohnquartieren der Kommunen zu beobachten, der in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter ansteigen wird. Damit kann die Verschärfung altbekannter Probleme vor Ort verbunden sein wie die Zunahme lokal wirksamer Emissionen (u. a. Lärm, Schadstoffe wie Stickoxide), Störungen der Verkehrssicherheit und Verkehrsabläufe durch neue Stop-and-Go-Verkehre oder der Anstieg des Parkens in zweiter Reihe oder gar auf dem Bürgerteig.
Kommunen stehen diesbezüglich unter Druck, diesen Entwicklungen zu begegnen. Sie müssen Konzepte mitgestalten und Infrastrukturen neu justieren, um einerseits die Chancen des Online-Handels zu nutzen und andererseits die negativen Effekte auf ihre Bewohner, die Umwelt und den Einzelhandel zu begrenzen. Mithilfe der Katalogisierung von Best-Practice-Beispielen im Netzwerk Verkehr in Städten konnten umfangreichere Handlungsoptionen ausgearbeitet werden, mit denen auf die Herausforderungen je nach kommunaler Problemlage tiefergehend geantwortet werden könnte. Beispielhaft lassen sich drei Ansätze umreißen:
Punkte statt Fläche
Die Umsetzung dieses Konzepts zielt auf die Entlastung derjenigen Wohnquartiere ab, die besonders stark vom wachsenden KEP-Markt betroffen sind. Das impliziert eine mutige Neujustierung der städtischen Infrastrukturen durch die Installation von lokalen Pick-Up-Point-Systemen, mit denen Pakete nicht länger direkt an der Tür des Empfängers abgegeben werden. Sie werden an einem zentralen Quartiersstandort gebündelt und dort vom Endkunden (oder durch „Quartiersverteiler“) abgeholt; idealerweise zu Fuß, oder mit leihbaren Lastenrädern oder -karren.
Unter Einbezug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) existieren mit den Pick-Up-Points Alternativen zur Hauszustellung, mit denen das prognostizierte Sendungswachstum auf der letzten Meile über Echtzeitinformationen effizienter abgewickelt und durch den Kunden mitgestaltet werden kann. Allerdings erzeugen solche Formen neuer Lieferkonzepte neue Flächen- und Infrastrukturbedarfe, in denen der Verschnitt von physisch-materieller und digitaler Welt umgesetzt werden muss. Das betrifft die Pick-up-Points oder Micro-Hubs selbst, aber eben auch den Ausbau von Glasfasernetzen und die Installation von WLAN-Hotspots.
Elektrische Lieferfahrzeuge
Eine Bedeutungsverschiebung vom stationären Handel hin zum Online-Handel kann von den Kommunen als Chance gesehen werden, die Warenverteilung zu elektrifizieren und Lieferungen in umweltsensiblen Bereichen emissionsfrei abzuwickeln. KEP-Dienste operieren in der Regel von regionalen Logistikhubs aus und gliedern ihre Prozesse kleinteilig in lokalen Zustellbezirken. Dadurch nehmen gegenüber den traditionell interregional organisierten Lieferverkehren sowohl die Tourenlängen als auch die benötigte Nutzlast deutlich ab. Deshalb sind die Fahrzeuge sehr gut zur Elektrifizierung geeignet, wie zum Beispiel die Erfolgsgeschichte des Streetscooter verdeutlicht.
Neben elektrischen Lieferfahrzeugen sind außerdem Lasten-Pedelecs, Formen von Drohnen, autonom rollende Packstationen oder Zustellroboter als Alternativen zum dieselgetriebenen Lieferfahrzeug denkbar und sollten in großflächigen Reallaboren erprobt werden. Je kleiner die eingesetzten Lieferfahrzeuge sind, desto weniger Ressourcen beanspruchen sie auf der Infrastruktur.
Cross- und Multi-Channeling
Städte und Gemeinden werden Formen des Cross- und Multi-Channeling mittels kommunaler Einzelhandelskonzepte unterstützen müssen. Dabei werden digitale und stationäre Einzelhandelsstrukturen einschließlich korrespondierender Logistikkonzepte harmonisiert. Gegenläufige Entwicklungstrends einer steigenden Nachfrage von Lager- und Logistikflächen an den Massenmärkten dicht besiedelter Regionen auf der einen Seite und die sinkende Nachfrage nach stationären Einzelhandelsflächen auf der anderen brauchen nicht als Bedrohung des kommunalen Einzelhandels begriffen werden. Das zeigen Ansätze wie die Große Emma in Meißen oder die Online City Wuppertal (OCW). Cross- und Multichanneling-Ansätze können individuelle Bedürfnisse nach einer kurzfristigen Lieferung (same-day/hour-delivery) befriedigen, die mithilfe von GPS-basierten Smartphone-Applikationen auch losgelöst vom Wohnstandort denkbar sind.
Abschließend lässt sich festhalten, dass eine Anpassung der bestehenden Lieferkonzepte hin zu ressourcenschonenderen und konfliktärmeren Ansätzen in den Kommunen sich nur durch einen gemeinsamen Dialog initiieren lässt. Dem komplexen Wirkungsgefüge eines sich verändernden Handels und den damit verbundenen Herausforderungen für Stadt und Verkehr lassen sich etwa durch Strategien einer integrierten Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik mit dem Ziel der Gewährleistung einer gemeinwohlorientierten Zukunft für die Städte begegnen. Hier sollte ein noch stärkeres Problembewusstsein für die neuen Problemlagen entwickelt werden. In der Verantwortung stehen aber nicht nur die Kommunen selbst, sondern auch die gesetzgebenden Ebenen Bund und Länder. Diese können ihrerseits verbindliche Rahmen setzen und Instrumente schaffen, um die Position der Kommunen bei der Neuausrichtung der logistischen Prozesse und Strukturen zu unterstützen.
Als Entscheidungshilfe für die strategische Planung sind modellhafte Abschätzungen hilfreich, da diese die KEP-Sendungsvolumina für einzelne Städte und die Wirkungen verschiedener Konzepte auf Verkehr und Städtebau vielfältig abbilden können. Sie können dazu beitragen, dass Gesetzgeber und Kommunen objektiv diskutieren und schließlich sachgerecht entscheiden.
Dirk Wittowsky / Sven Altenburg / Sören Groth / Judith Kurte / Anna-Lena van der Vlugt / Isabelle Wachter
Die Autoren
Dr.-Ing. Dirk Wittowsky ist Forschungsgruppenleiter Alltagsmobilität und Verkehrssysteme beim Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund, Sören Groth, Anna- Lena van der Vlugt und Isabelle Wachter sind wissenschaftliche Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme am ILS; Dr. Judith Kurte ist Geschäftsführerin der KE-Consult – Wirtschafts- und Verkehrsberatung; Sven Altenburg, Düsseldorf, ist Projektleiter Mobilität & Transport beim Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos