Der individualisierte Autoverkehr wird in den kommenden Jahren spürbaren Veränderungen unterzogen sein. Die Nahmobilität, der mit „Teilen statt Besitzen“ bezeichnete Wertewandel sowie die Digitalisierung des Verkehrs sind drei große Trends in der Verkehrsentwicklung. Dem muss die kommunale Verkehrsplanung Rechnung tragen.
Die Perspektivbetrachtung der kommunalen Verkehrssysteme ist aus mindestens drei Blickwinkeln zu beleuchten:
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Welcher Wertewandel mit seinen dazugehörigen Anforderungen an die Verkehrsangebote vollzieht sich und wird sich – sofern prognostizierbar – fortsetzen?
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Welche technischen Veränderungen sind absehbar und welche Folgen wird dies für den Stadtverkehr haben?
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Welche Veränderungserfordernisse ergeben sich aus dem demografischen Wandel?
Diese Fragen lassen sich nicht für alle Stadt- und Gemeindetypen gleichlautend beantworten. Auch der Zeithorizont ist wichtig. Was wird sich schon bis 2030, was bis 2040 niederschlagen? Zur Demografie und möglichen Folgen für den Verkehrssektor wurde schon viel geschrieben. Bezüglich der absehbaren Entwicklung besteht wenig Kontroverse. Der vorliegende Artikel versucht die mutmaßlich für den Stadtverkehr relevanten Trends aufzugreifen und zu interpretieren, die sich eher auf Werte und Technik beziehen.
Die Stadtgesellschaft fordert gesunde Lebensverhältnisse, insbesondere für Kinder. Dies bezieht Luft und Ruhe genauso mit ein wie Sicherheit. Ein Ausgleich überzogener Autofixierung, zum Beispiel im Sinne der Beweglichkeit anderer Verkehrsteilnehmer, ist Common Sense – allerdings nicht der Grad und die Schnelligkeit dessen; und schon gar nicht die politische Bereitschaft, sich auf diesem Wege blaue Flecken zu holen.
Analog dazu ist ein schleichender Prozess der Umwertung zu beobachten, in dessen Folge Aufenthaltsansprüche und Stadtraumqualitäten mittlerweile eine ernstzunehmende Konkurrenz zur selbstverständlichen Inanspruchnahme des öffentlichen Raums durch parkende Kraftfahrzeuge ist. Der Klimaschutz steht als eher abstrakte, stets genannte Größe im Hintergrund, die jedoch selten in konkreten Planungen handlungsleitend geworden ist.
Megatrend Nahmobilität
Die Hinwendung zum Nahraum und der Zuspruch zum Radverkehr sind zwei Seiten einer Medaille. Das dahinter steckende Potenzial ist enorm. In Hamburg beispielsweise enden mehr als die Hälfte aller Ortsveränderungen nach fünf Kilometern oder weniger und bilden das Radverkehrspotenzial einer Großstadt ab. Darüber hinaus hat das Fahrrad im Zuge seiner Elektrifizierung eine große Zukunft in weiterreichenden Entfernungsbereichen. Die Verkaufszahlen von Fahrrädern mit elektrischer Tretunterstützung erreichen jährlich neue Rekordmarken.
Sichtbare Tendenzen zu Aktivitäten im Nahraum und die Benutzung eines Fahrrades spiegeln einen Lebensstil wider, bei dem Gesundheit und Bewegung, aber auch kurze Wege und praktische, wenig zeitraubende Alltagsorganisation immer wichtiger werden. Die Reurbanisierung der Städte ist ebenfalls als Folge dessen zu betrachten.
Die Möglichkeiten zur Bekräftigung dieser Trends sind vielseitig. Dazu zählen die Wiederherstellung naherreichbarer Zentren in Stadtteilen oder in Klein- und Mittelstädten, die Erhöhung der Beweglichkeit und Sicherheit für den nicht-motorisierten Verkehr, systematische Verbesserungen des Fahrradparkens oder auch die Reduzierung der Kfz-Geschwindigkeit.
Siedlungsstrukturen, die kurze Wege tatsächlich „nahelegen“, sind die Basis von wirklichen Lösungen. Hier ergeben sich insbesondere neue Herausforderungen bezüglich der Umstrukturierung des Einzelhandels und seiner traditionellen Rolle für Zentren infolge des zunehmenden Internethandels.
Die Renaissance des öffentlichen Raums geht einher mit höheren Ansprüchen an Gelegenheiten zum Kommunizieren und Verweilen in der Wohnungsumgebung. Die damit korrespondierende Beanspruchung von Fläche kann meist nur erfüllt werden, wenn dem ruhenden Kfz-Verkehr Fläche „weggenommen“ wird.
Die Planung sollte derartige Raumnutzungsmuster transparent machen und dem Rechnung tragen. Die Kompromisslinie zwischen den konkurrierenden Ansprüchen muss verschoben werden. Dabei gewinnen viele. Dies ist in den Vordergrund zu stellen.
Teilen statt Besitzen
Die sharing economy beeinflusst das Mobilitätsverhalten in zunehmendem Maße, insbesondere in den jüngeren Generationen. In weiten Teilen der Gesellschaft ist das Auto weniger Statussymbol als Mittel zum Zweck. Entsprechend rational werden seine Nutzung und das Verschenken von Ressourcen durch stundenlanges Herumstehen gesehen. Ein sicheres Indiz für die Langfristigkeit dieser Entwicklung sind die zahlreichen Experimente und Investitionen der großen Autobauer in diesem Segment.
So wächst das Geschäftsfeld Carsharing seit Jahren. Lag die Zahl der angemeldeten Nutzer aller Angebote deutschlandweit noch 2011 unter 200.000, so waren es nach Angaben des Bundesverbands Carsharing zu Beginn des Jahres 2018 bereits mehr als zwei Millionen Menschen. Insgesamt stehen derzeit rund 18.000 Fahrzeuge von 165 Anbietern zur Verfügung. Nach Berechnungen des Verbands ersetzt ein Carsharing-Fahrzeug im Mittel bis zu 20 private Pkw.
Seit Mitte 2017 besteht mit dem Carsharing-Gesetz eine bundesweite Grundlage zur Förderung von Carsharing, etwa über Bevorrechtigungen beim Parken. Zahlreiche Städte haben Aktivitäten gestartet, um Carsharing-Angebote zu stärken, etwa durch Anschubfinanzierungen oder die Bereitstellung eigens gewidmeter Flächen (z. B. Switchh in Hamburg oder Mobilpunkt in Bremen).
Auch die Zahl der Bikesharing-Systeme nimmt seit Jahren deutlich zu. Beispielsweise hat sich die Zahl der Kunden des „Stadtrad“-Systems in Hamburg seit der Einrichtung 2009 mehr als verzwölffacht. Im Jahr 2017 wurden fast drei Millionen Fahrten registriert.
Die kommunale Verkehrsplanung muss dies als zentrale Aufgabe verstehen. Gute und für viele Nutzergruppen sinnvolle Fahrradleihsysteme beispielsweise brauchen Raum, und das Netz muss möglichst engmaschig sein, auch in Gebieten mit geringerer Wohndichte. Zu Hochbaumaßnahmen müssen spezifische Mobilitätskonzepte entwickelt werden, um die Neusortierung der Mobilitätsmuster für die Hinzuziehenden zu beeinflussen.
Digitalisierung des Verkehrs
Im Bereich der technischen Entwicklungen steht das automatisierte bis autonome Fahren im Vordergrund. Die Fachöffentlichkeit diskutiert die zahlreichen Fragen zum Ob und Wie des automatisierten Fahrens in den nächsten Jahrzehnten kontrovers. Klar ist, dass die reine Existenz von marktreifer Technologie noch lange nicht deren Erfolg bedeutet. Es gibt einige Annahmen, die relativ unabhängig von der Organisation des automatisierten Fahrens getroffen werden können:
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Der Bedarf an Parkraum, insbesondere im öffentlichen Raum, wird deutlich geringer
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Durch den Einsatz autonomer Fahrsysteme werden die Kapazitäten von Hauptverkehrsstraßen ebenso erhöht wie deren Barrierewirkung, während der Quartiersverkehr noch stärker durch den Fuß- und Radverkehr dominiert
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Mit dem vollautomatisierten Fahren werden neue Beförderungsangebote geschaffen, welche die Wahl und Nutzung von zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln beeinflussen
Entscheidend für die Auswirkungen des automatisierten Fahrens auf die Verkehrssysteme ist, inwieweit sie mit Sharing-Modellen sowie mit den Angeboten des (schienengebundenen) Öffentlichen Personennahverkehrs verschränkt werden. Hier ist die Stadt- und Verkehrsplanung gefordert, entsprechende Abschätzungen zu treffen und Weichenstellungen für eine nachhaltige und nahmobilitätsfördernde Entwicklung vorzunehmen.
Vieles spricht dafür, dass der Autoverkehr in seiner individualisierten Form von heute in den kommenden Jahren spürbaren Veränderungen unterzogen sein wird. Dies wird mit einem allmählichen Rückzug aus dem öffentlichen Raum zugunsten anderer Raumnutzungen einhergehen.
Philip Engler / Markus Franke / Christoph Ludwig
Die Autoren
Markus Franke ist Leiter des Fachbereichs Verkehrskonzepte beim Stadt- und Verkehrsplanungsunternehmen Argus in Hamburg, Dr. Philip Engler ist Mitarbeiter in diesem Fachbereich, Christoph Ludwig ist stellvertretender Leiter dieses Fachbereichs
Info: Aktuelle Zahlen und Daten zum Carsharing in Deutschland bietet zum Beispiel der Bundesverband Carsharing
Literatur: Konrad Rothfuchs, Philip Engler: Das öffentliche Interesse muss die Entwicklung bestimmen! Auswirkungen des autonomen Fahrens aus Sicht der Verkehrsplanung – einige Thesen und zahlreiche offene Fragen. In: Straßenverkehrstechnik 62 (8), 2018, S. 564–571