Öffentlicher Raum als Ort des Miteinanders

Begegnungsorte und Freiäume, Unterhaltung und Spiel – und sehr viel mehr: Es gilt, den kostbaren öffentlichen Raum zu schätzen und klug zu gestalten. Foto: Adobe Stock/Abdul

Die Städte sind im Wandel, und das ist gut so, sagt der Parlamentarische Staatssekretär Sören Bartol: Ein Plädoyer für Klimaanpassungsmaßnahmen, für veränderte (Verkehrs-)Infrastrukturen – und für die Stärkung des öffentlichen Raumes als Ort des Miteinanders und sozialen Zusammenhalts.

Wir werden die Zeit der Pandemie kaum wieder vergessen: kein Treffen im Straßencafé, leere Fußgängerzonen, gesperrte Spielplätze, geschlossene Theater und Kinos. Heute freuen wir uns darauf, dass wir in diesem Jahr einen Fußballsommer erleben können mit Public Viewing in den Städten sowie Besucherinnen und Besuchern aus ganz Europa bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland.

Sie haben es gemerkt: Es geht um gemeinsame Erlebnisse, die uns verbinden und die für Leichtigkeit sorgen. Es geht um die Begegnungen im öffentlichen Raum, der uns so selbstverständlich um- gibt, wenn wir vor die Haustür treten. Wir brauchen ihn, um von München nach Rostock oder von Jena nach Aachen zu kommen, um uns zu treffen, einkaufen zu gehen, mit den Kindern zu spielen. Wir wollen uns hier bei unseren täglichen Gängen sicher und wohl fühlen.

Die Pandemie hat die Bedeutung des öffentlichen Raums als Aufenthaltsort für die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte und Gemeinden noch einmal richtig deutlich gemacht. Die Menschen erlebten die Folgen der Pandemie unterschiedlich, je nachdem, wie ihr Wohnort und ihr soziales Umfeld gestaltet sind. Im „Memorandum Urbane Resilienz“ haben wir Ende 2021 hervorgehoben, dass der schnelle Zugang zu Freiraum und sozialer Infrastruktur zur Daseinsvorsorge gehört und dass die Steigerung der Aufenthaltsqualität unverzichtbar ist. Der öffentliche Raum muss daher als Ort für spontane Begegnungen sowie des Austausches und damit als Grundlage sozialer Teilhabe gestärkt werden.

Kopenhagen regt zur Nachahmung an

Gute Beispiele findet man bei unseren dänischen Nachbarn in Kopenhagen. Der öffentliche Raum wird dort immer mehr als Gemeingut verstanden und erlebt, als Ort, der zum Miteinander aller Bewohnerinnen und Bewohner einlädt und dabei die Wünsche möglichst vieler und unterschiedlicher Gruppen der Stadtgesellschaft berücksichtigt.

Dort werden mit einer attraktiven Gestaltung des öffentlichen Raumes positive Orte geschaffen, die mit Blick auf eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung überzeugen können. So werden starke Impulse für neue Nutzungen und neue Allianzen im öffentlichen Raum gegeben.

Mal auf einer Verkehrsinsel wohnen

Dies haben auch die „Post-Corona-Stadt“-Projekte ausprobiert, die vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert werden. Zum Beispiel in Ludwigsburg: Dort hat man mit zeitlich befristeten Pop-up-Maßnahmen unterschiedliche Nutzungen erprobt, die neue Möglichkeiten sowie Visionen des Wohnens und Lebens für die Ludwigsburger Innenstadt aufzeigen – sei es das Wohnen auf einer Verkehrsinsel oder ein Stadtstrandleben auf dem Rathaushof.

Ähnlich Frankfurt am Main: Die hessische Stadt setzte mit der Mainkai-Werkstatt in einem Reallabor ein Stadtraumfestival um, das die großen Potenziale zum Mitgestalten und die Qualitäten eines autoverkehrsfreien Uferbereiches erlebbar gemacht hat. In einer „Agentur des städtischen Wandels“ kamen Initiativen und Menschen zusammen. Nebenbei wurde die Kooperation von Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung gestärkt und für weitere Aktivitäten mobilisiert.

Ein weiteres Beispiel für gelingende Transformationsprozesse ist Leipzig: Die sächsische Metropole setzt in der Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Stadtverwaltung im Reallabor die Idee eines „Superblocks“ um: autoverkehrsarme Straßenräume werden mit mehr Grün und multifunktionalem Mobiliar umgestaltet. Es werden neue Angebote für das Spielen, Radfahren und Erholen geschaffen, und somit erhöht sich die Lebensqualität in den Wohnvierteln.

Um die Nutzbarkeit des öffentlichen Raums für alle zu steigern, sind in den Städten und Gemeinden viele Initiativen entstanden, die sich für eine gerechtere Neustrukturierung des Straßenraums einsetzen.

Weniger Flächen für Autoverkehr

Die vielerorts deutliche Ausrichtung auf den motorisierten Individualverkehr entspricht nicht mehr den vielfältigen Mobilitätsanforderungen. Die Zukunft liegt in der Stärkung des ÖPNV, des Fuß- und Radverkehrs, um ein nachhaltiges Mobilitätsverhalten zu ermöglichen.

Flächen für den Autoverkehr und insbesondere den ruhenden Verkehr sollen – wo immer möglich – zugunsten von anderen Nutzungen umgewidmet werden. Zugleich ist die Erreichbarkeit für den Auto- und Lieferverkehr zu gewährleisten. Die Möglichkeiten der kommunalen Ebene für die Gestaltung einer nachhaltigen Mobilität sollten dazu dringend ausgebaut und im Sinne des Gesundheits- und Klimaschutzes sowie städtebaulicher Belange neu aufgestellt werden.

Lebendig, vielseitig, attraktiv

Das BMWSB unterstützt die Klimaanpassung des öffentlichen Raums und stärkt ihn gleichzeitig als Ort der Begegnung, der Erholung und der Biodiversität. Das Förderprogramm zur „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ sowie die Bund-Länder-Programme der Städtebauförderung haben sich über die Jahre bewährt. Mehr noch: Sie sind sehr erfolgreich und werden von den Kommunen dringend gebraucht.

Auch wenn der digitale Raum herkömmliche Funktionen öffentlicher Räume übernimmt, braucht es reale öffentliche Räume für persönliche Begegnungen und für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Der öffentliche Raum bleibt dabei auch immer ein Raum politischer Aushandlung, in dem man sich Ge- hör verschaffen kann, für seine Meinung öffentlich einsteht und in dem die politische Debatte der klassischen Agora ihren demokratischen Platz wiederfindet – vielleicht auch zwischen gut gelaunten und buntgeschminkten Fans in einem neuen Fußballsommer.

Sören Bartol


Der Autor

Sören Bartol ist Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.