Neuer Vorlesungssaal: Zuhause

So sehen die Hörsäle von Hochschulen und Universitäten bereits seit zwei Semestern aus. Die Veranstaltungen finden seit vergangenem Frühjahr fast nur noch als Onlineversionen statt. Foto: Adobe Stock/.shock

Verwaiste Campusanlagen, leere Hörsäle und Vorlesungen aus dem Wohnzimmer – die Hochschulen blicken mittlerweile auf zwei Semester im coronabedingten Ausnahmezustand zurück. Die Umstellung auf den digitalen Betrieb hat zwar zügig und vorbildlich geklappt. Dennoch sind noch einige Baustellen offen, die ernst genommen werden sollten.

Ein Zeitsprung ins vergangene Frühjahr: Nur wenige Wochen vor Beginn des Sommersemesters 2020 wird klar, dass zugunsten der Pandemieeindämmung eine Ad-hoc-Umstellung vom Präsenzunterricht zum digitalen Lehrbetrieb erfolgen muss. Die Hochschulen leisten im laufenden Betrieb Beachtliches: Mehr als 90 Prozent der Lehrangebote können digitalisiert werden, so eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey und des Stifterverbands. Viele Studierende schätzen dabei die Flexibilisierung, die durch digitale Lehrveranstaltungen ermöglicht wird.

Trotz dieses positiven Resümees zur bereitgestellten Infrastruktur und zum (fast) vollständig ermöglichten Lehrangebot zeigt sich in der Auswertung des vergangenen Sommersemesters und auch des aktuellen Wintersemesters, dass ernstzunehmende Baustellen bestehen.

Während die meisten Studierenden zwar über entsprechende elektronische Endgeräte zur Teilnahme an Online-Veranstaltungen verfügen, erschweren vor allem instabile Internetverbindungen und inadäquate Lernumgebungen in Zeiten von geschlossenen Bibliotheken und voll besetzten Wohngemeinschaften allerdings chancengerechte Teilnahmevoraussetzungen. Die Hochschule fehlt zudem als sozialer Ort – als Lern- und Lebensort. Die fehlenden Kontakt- und Austauschmöglichkeiten sowohl unter den Kommilitonen als auch zwischen Lehrenden und Studierenden werden als Belastung wahrgenommen. Zusätzlich zu finanziellen Nöten, unter anderem durch den Wegfall von Nebenjobs, und der angestiegenen Arbeits- und Prüfungslast belastet die soziale Isolation viele Studenten psychisch.

Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, die Innovationskraft von Studierenden anzuerkennen und sie als größte Nutzergruppe von Bildung auf Augenhöhe in die bedarfsorientierte Entwicklung von Lösungen einzubeziehen. Im Netzwerk des Hochschulforums Digitalisierung zeigen engagierte Studierende, Dozenten und Hochschulmitarbeiter sowie -leitungsvertreter in der studentischen Zukunfts-AG „Digital-
ChangeMaker“ oder in Online-Hack-
athons, wie Bildung an Hochschulen innovativ, partizipativ und einrichtungsübergreifend gestaltet werden kann.

Heute nach morgen schauen

Auch wenn die vergangenen Semester unter der Flagge des Notfallmodus liefen, stellen sie zweifelsfrei Reallabore für digitale Lehre in einer bis dato ungesehenen Breite dar. Die Auswertung der vergangenen Semester ist daher essenziell, um positive Lernerfahrungen und Chancen der Digitalisierung für eine proaktive Gestaltung kommender Vorlesungsperioden zu nutzen. Dabei bedarf es vor allem einer offenen Haltung und Fehlerkultur aller Hochschulangehörigen sowie konstruktiver, statusgruppenübergreifender Auseinandersetzungen darüber, wie beispielsweise ein Zusammenspiel von digitalen und Präsenzformaten zukünftig ein flexibleres, individualisiertes Studium ermöglichen kann beziehungsweise wie Prüfungen in Zukunft neu gedacht werden
können.

Autorin: Dr.Yasmin Djabarian, Programm-Managerin beim Stifterverband.
Zu ihren Arbeitsschwerpunkten im Hochschulforum Digitalisierung zählen digital gestützte Lehre, Studierendenpartizipation und Innovationsprozesse an Hochschulen.