Neue Wege, alte Köpfe

Nein, bescheiden ist er nicht, der neue und alte Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Die reduzierte Message seiner Wahlplakate lässt das zumindest vermuten. Foto: D. Fiedler

Nach den ersten großen Wahlen in diesem Superwahljahr zeigt sich für Amtsträger und solche, die es werden wollen, wieviel Einfluss Corona tatsächlich hat. Die mediale Dauerpräsenz verschafft Vorteile, der Austausch über soziale Medien eher nicht. Und am Ende entscheidet das Wahlplakat? Ein Gespräch mit dem Experten für politische Kommunikation Frank Brettschneider.

Wie positionieren sich Kandidaten für politische Ämter aktuell am besten? Wie gleichen sie den fehlenden Straßenwahlkampf aus?

Brettschneider: Wahlplakate sind tatsächlich immer noch wichtig. Sie schienen schon fast aus der Zeit gefallen. Aber sie erreichen viele Menschen. Sie können auf Personen und Themen aufmerksam machen. Dafür müssen sie aber gut gestaltet sein: Bildplakate sind besser als Textplakate. Wenig Text ist besser als viel Text. Die Schrift sollte kontrastreich sein. Das verwendete Bild muss zum Thema im Text passen. Die Regeln für gute Plakate sind also klar. Oft wird sich aber nicht daran gehalten … Wichtig sind auch Broschüren und Flyer, die in den Briefkästen landen. Aber auch die sollten nicht zu überladen sein. Das Gleiche gilt für die eigene Homepage.

Profitieren die aktuellen Amtsträger durch ihre mediale Dauerpräsenz?

Brettschneider: Ja, die aktuellen Amtsträger an der Spitze profitieren von ihrer sehr starken Präsenz in den Medien – vor allem die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten. Sie werden als die Handelnden wahrgenommen. In sie hat sich Vertrauen aufgebaut. Schon bei den Ministern ist das jedoch deutlich weniger der Fall. Hier kann auch schnell Unzufriedenheit entstehen, wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie nicht „liefern“. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekommt das gerade zu spüren. Und auch die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann bekam angesichts ihres Corona-Managements in puncto Schulöffnungen kräftigen Gegenwind.

Digitale politische Kommunikation via Instagram, Facebook und Teams – wird es das bei der nächsten „normalen“ Wahl immer noch geben oder kehren die Parteien zu ihrem althergebrachten Wahlkampf zurück?

Brettschneider: Diese digitalen Formate wird es auch künftig geben. Instagram und YouTube sprechen vor allem die unter 24-Jährigen an. Diese bildorientierten Kanäle werden sogar noch an Bedeutung gewinnen. Und auch das Streaming von Veranstaltungen sowie der Einsatz von Videokonferenztools wird wahrscheinlich noch zunehmen. Ist ja auch bequem, eine Wahlveranstaltung vom Sofa aus zu verfolgen – ohne Anreiseweg. Aber die Präsenzveranstaltungen werden ebenfalls wieder wichtig werden – vor allem, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Und der Haustürwahlkampf, um die Unentschiedenen zu erreichen. Das alles stellt große Anforderungen an die Parteien und an ihr Wahlkampfbudget. Aber: Noch wichtiger ist nach wie vor die Präsenz in den klassischen Massenmedien Zeitung, Radio und Fernsehen.

Und wie wirkt sich der vermehrte Einsatz von Social Media aus? Führt dies zu einem intensiveren, besseren Austausch mit den Bürgern?

Brettschneider: Nein. Social Media erreicht im Wahlkampf etwa ein Viertel der Wähler, deutlich eher die Jüngeren. Und eher diejenigen, die parteipolitisch bereits festgelegt sind. Dabei überwiegt das Konsumieren der Inhalte. Ein richtiger Dialog zwischen den Parteien und den Wählern findet in den sozialen Medien hingegen noch kaum statt.

Sie haben Pressemitteilungen der Bundesregierung untersucht und bemängelt, dass sie sehr unverständlich verfasst worden seien. Wie viel Vertrauen in die Politik geht durch schlechte Kommunikation verloren?

Brettschneider: Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen. Politik muss ihre Handlungen und die Gründe dafür gut erklären. Das ist eine Frage der politischen Substanz, des Inhalts. Und es ist eine Frage der Verpackung, der verwendeten Sprache. Wir sehen immer wieder, dass Parteien und Regierungen formal unverständlich formulieren. Da finden sich Fachbegriffe, die nicht erklärt werden. Denken Sie im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie an Begriffe wie „Containment Scouts“, „Corona Matching Fazilität“ und „Covid-19 Evidenz-Ökosystem“. Dann haben wir die Behördensprache, mit vielen zusammengesetzten, sehr langen Wörtern. Etwa „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“ oder die „WissZeitVG-
Befristungsdauer-Verlängerungs-Verordnung“. Und wir finden oft sehr lange Sätze. 50, 60 bis zu 80 Wörter pro Satz. Da wissen Sie am Ende nicht mehr, wie der Satz angefangen hat. All das sind Verständlichkeitshürden. Die Verständlichkeit ist aber für Vertrauen und Akzeptanz notwendig.

Wie bewerten Sie den Ausgang der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz?

Frank Brettschneider: Für die CDU in Baden-Württemberg ist das Ergebnis ein Desaster. Aber eines mit Ansage. Die Grünen freuen sich über den fulminanten Wahlsieg, den sie in erster Linie Winfried 
Kretschmann verdanken. Und sie werden sich auf seine Nachfolge vorbereiten müssen. Die SPD wird in Rheinland-Pfalz ein wenig Hoffnung schöpfen, in einem für sie bundesweit schwierigen Umfeld.

Ändert das Ergebnis der aktuellen Wahlen die Erwartungen an die Bundestagswahl?

Brettschneider: Für die Bundestagswahl ist noch alles offen. Die Menschen unterscheiden deutlich zwischen den Kompetenzbewertungen auf Landes- und auf Bundesebene. Und dann müssen sich ja auch erst noch Personalfragen klären: Tritt für die Union Herr Söder oder Herr Laschet an? Tritt für die Grünen Frau 
Baerbock oder Herr Habeck an? Wie ist die Corona-Lage im Sommer? Bis zum 26. September werden wir wahrscheinlich noch viel Bewegung sehen.

Wie stark hat die Corona-Krise das Wahlergebnis der aktuellen Landtagswahlen beeinflusst?

Brettschneider: Gewonnen haben die Parteien und Kandidaten, denen die Bevölkerung mehr Kompetenz bei der Bewältigung der Corona-Krise zutrauen. Das hat das Wahlergebnis schon beeinflusst. Neben anderen Faktoren, wie der Wahrnehmung der Spitzenpolitiker und der Kompetenz bei anderen Themen. Außerdem hat das Corona-Thema andere Themen deutlich überlagert.

Würden Sie sagen, zu sehr?

Brettschneider: Ja, das würde ich so sagen. Die Corona-Politik ist natürlich ein wichtiges Thema. Aber andere Themen sind auch wichtig: Wirtschaftspolitik, Innere Sicherheit, Klimawandel, Verkehrspolitik. Diese Themen kommen im Wahlkampf zu kurz. Auch beim TV-Duell der baden-württembergischen Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann (Grüne) und Susanne Eisenmann (CDU) vor der Wahl wurden sie praktisch nicht angesprochen. Solche thematischen Verengungen haben wir aber auch schon bei anderen Wahlen beobachtet: Bei der Bundestagswahl 2017 war es das Flüchtlingsthema, bei der Europawahl 2019 war es der Klimawandel, jetzt ist es Corona.

Zählt bei den Wahlen dieses Jahr noch mehr als sonst der Nasenfaktor statt Inhalte?

Brettschneider: Personalisierte Wahlkämpfe sind nichts Ungewöhnliches. Aber die Vehemenz, mit der die Grünen in Baden-Württemberg auf Winfried 
Kretschmann gesetzt haben, ist schon bemerkenswert. Aber es ist logisch. Er ist das grüne Zugpferd. Die Grünen wollen mit ihm Stabilität und Verlässlichkeit in den Mittelpunkt rücken. Kretschmann genießt großes Vertrauen. Und das auch in den Reihen der CDU-Anhänger. Die Grünen wären dumm gewesen, hätten sie das nicht genutzt. Die CDU musste hingegen eher einen themen- und parteienbezogenen Wahlkampf führen.

Interview: Denise Fiedler

 

Foto: Uni Hohenheim

 

Zur Person:

Prof. Dr. Frank Brettschneider ist Politologe und Kommunikationswissenschaftler. Er lehrt an der Universität Hohenheim.