Miteinander leben

Die Frage nach der Zukunft des Wohnens beschäftigt die Kommunen zunehmend. Projekte gemeinschaftlichen Wohnens verbinden Eigennutz mit Gemeinsinn. Sie begegnen Bodenspekulation und Mietenexplosion mit bürgerschaftlicher Selbsthilfe und stärken den sozialen Zusammenhalt in Quartieren.

Der Wohnbedarf ändert sich in dem Maße, wie sich gesellschaftliche und soziale Bedingungen ändern. Berufliche Mobilität vor allem in jungen Jahren wirken sich massiv auch auf Wohnbiografien aus. Diese werden unsteter. In Städten mit Wohnraummangel und explodierenden Wohnkosten müssen in jungen Familien beide Elternteile berufstätig sein, um sich mit angemessenem Wohnraum versorgen zu können. Zudem verändert der demografische Wandel die Mechanik des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft. Das System wechselseitigen Beistands der Generationen in Familien funktioniert heute immer weniger, weil junge Menschen aufgrund beruflich geforderter Mobilität oft ganz woanders wohnen als ihre Eltern. Zunehmend mehr ältere Menschen, können auf kein familiäres Netzwerk zurückgreifen, weil sie keine Kinder haben.

Daher ist es verständlich, dass es Versuche gibt, fehlenden familiären Rückhalt durch andere Netzwerke zu kompensieren. So zum Beispiel mit „wahlverwandtschaftlichen“ Zusammenschlüssen in Projekten des sogenannten gemeinschaftlichen Wohnens. Hier schließen Bürger sich zusammen, um gut nachbarschaftlich zu leben. Sie wohnen in aller Regel als Haushalte in eigenen Wohnungen, die sie in Mehrfamilienhäusern oder Wohnsiedlungen errichten lassen. Dort vernetzen sie sich und geben sich ein Statut, in dem sie festschreiben, was sie unter Gemeinschaft verstehen. In aller Regel ist das ein austariertes Verhältnis von Nähe und Distanz zueinander – verbunden mit dem Entwicklungsversprechen, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn dies nötig und möglich ist.

Insgesamt realisieren die Beteiligten solcher Wohnprojekte mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Einflussnahme auf ihr Wohnen, als dies allgemein üblich ist. Grundsätzlich reklamieren sie das Recht für sich, Erstbezieher und Nachrücker selbst bestimmen zu können. Für die Gemeinschaft reservierte Räumlichkeiten nutzen sie zum gegenseitigen Austausch, für Aktivitäten, Feiern, TV-Events oder auch als kurzzeitige Unterkunft für Besucher. Das alles dient der Förderung guter Nachbarschaftsbeziehungen.

Das Zusammenleben mit Haushalten in ähnlichen Lebensphasen kann sowohl für junge Familien wie auch für ältere Menschen von großer Bedeutung sein. Es fördert die gegenseitige Unterstützungsbereitschaft in typischen Lebenslagen. Ältere sehen in Wohnprojekten zu Recht eine Vorsorge vor drohender Einsamkeit.

Engagement in der Quartiersentwicklung

Projekte gemeinschaftlichen Wohnens widmen sich in ihren Quartieren oft mit besonderer Aufmerksamkeit ihrer Wohnumgebung. Sie stellen ihre Gemeinschafträume der Nachbarschaft zu Verfügung und engagieren sich in der Quartiersentwicklung. Viele integrieren auch Menschen, die üblicherweise wenig Chancen auf dem klassischen Wohnungsmarkt haben, wie alleinerziehende Elternteile mit ihren Kindern, Menschen mit Behinderungen, Familien in Wohnungsnot. Dazu zählt auch die Realisierung besonderer Wohn- und Pflegeangebote für Menschen mit Demenz.

Einige Städte wie Freiburg, Tübingen, Hamburg und München nutzen seit Jahren diese gemeinschaftsorientierten Wohnkonzepte, um den sozialen Zusammenhalt in alten und neuen Quartieren zu fördern. Insofern verbindet sich in Wohnprojekten Eigennutz mit Gemeinsinn. Diese Projekte sind vielerorts geschätzte Partner der Kommunen im Aufbau oder der Ertüchtigung von Quartieren. Ihnen werden daher kommunale Grundstücke oft deutlich unter maximal erzielbaren Höchstpreisen im Konzeptverfahren zur Nutzung überlassen. Andere Kommunen sollten dem folgen und das Höchstpreisverfahren generell abschaffen, weil ihnen das nur negative Effekte einbringt.

Projekte gemeinschaftlichen Wohnens sind zum Beispiel als Zusammenschluss von Einzeleigentümern organisiert oder als Mietergruppe in kommunalen Wohnungsunternehmen. Sie haben der Genossenschaftsbewegung bundesweit neue Impulse gegeben. Entweder indem sie selbst kleine Genossenschaften gegründet oder indem sie sich als Gruppen ein gemeinsames Unterkommen in traditionellen Wohnungsbaugenossenschaften gesucht haben. Mit dieser Orientierung auf die traditionelle Wirtschaftsform des Wir zeigen sie auf, mit welchen Partnern es auch Kommunen gelingen kann, „ruhigere“ Schneisen in scheinbar nicht zu bremsende Entwicklungen in der Wohnungsversorgung zu schlagen.

Bedarf an zeitgemäßen Konzepten der kommunalen Altenpflege

Sobald die Verletzlichkeit des Lebens im Alter zunimmt und keine An- und Zugehörige mobilisierbar sind, ist der Weg in eine stationäre Einrichtung in vielen Regionen der Republik vorgezeichnet. Die meisten Kommunen haben ihre Konzepte der Altenpflege in den letzten Jahrzehnten nicht geändert und ignorieren das in vielen Studien geäußerte Unbehagen gegen große stationäre Unterbringungsformen, die längst überholt sind.

Generell sollte der Wunsch älterer Menschen, zu Hause wohnen bleiben zu können, in der Politik und im Gesundheitswesen ernster genommen werden. Um dem gerecht zu werden, braucht es viel mehr unterschiedliche Wohnangebote für pflegebedürftige Menschen und Entlastungsangebote für deren Angehörige. Zum Beispiel mehr Kurzzeit- und Tagepflegeplätze für Betroffene und temporär verfügbare Unterbringungsformen, damit pflegende Angehörige eine Auszeit nehmen können. Auch Konzepte wie das sogenannte Bielefelder Modell bieten Möglichkeiten, das Wohnen zu Hause zu verlängern.

Wenn es dann wirklich zu Hause nicht mehr geht, sollte es Alternativen zur klassischen Heimunterbringung geben. Das können kleine stationäre Angebote in Stadtteilen sein oder auch ambulant betreute oder stationär organisierte Wohngemeinschaften. Projekte gemeinschaftlichen Wohnens können sich hier für Kommunen anbieten, indem sie derartige neue Konzepte mittragen und mit realisieren helfen.

Die moderne Interpretation der Institution Kommune ist die der Ermöglicherin – nicht mehr wie zu früheren Zeiten die der Dienstleisterin und auch nicht, wie noch davor, die der Obrigkeit. Städte und Gemeinden sollten bei der Entwicklung von modernen Wohnformen als Impulsgeber und Moderatoren tätig werden und bürgerschaftliches Engagement wertschätzen und unterstützen. Indem sie alle Akteure zusammenbringen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und Neues im Wohnen wagen, fördern sie Netzwerke zur Entwicklung neuer Wohnformen. Auf diese Weise unterstützt, können neue Wohnformen einen Beitrag dazu leisten, den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen und den sozialen Zusammenhalt in Quartieren zu stärken.

Josef Bura

Der Autor
Dr. Josef Bura ist Erster Vorsitzender der Bundesvereinigung Forum Gemeinschaftliches Wohnen in Hannover