Kommunale Kanalsysteme

Damit Kanalsysteme nicht zu schwarzen Löchern werden, empfiehlt es sich, sie aus unterschiedlichen Perspektiven im Blick zu haben. Foto: Adobe Stock/Mulderphoto

Entwässerungssysteme sind Bestandteile des kommunalen Anlagevermögens. Robert Stein erklärt, wie ihr Wert ermittelt und wie Kanalnetze am besten bewahrt, saniert und weiterentwickelt werden.

Wie kann eine Kommune herausfinden, wie viel ihr Kanalnetz wert ist?

Robert Stein: Der Wert des Kanalnetzes wird häufig mit dem Buchwert gleichgesetzt. Allerdings gibt der Buchwert nicht den tatsächlichen oder den „wahren“ Wert des Netzes wieder – weil den Buchwerten Abschreibungsdauern zugrunde liegen, die oft eine geschätzte, politische Größe sind. Zudem sind abgeschriebene, aber noch im Betrieb befindliche Kanäle nicht mehr Bestandteil des Vermögens. Als wichtige Steuerungsgröße für das Anlagen- und Vermögensmanagement des Kanalnetzes empfehlen wir deshalb eine Substanzwertermittlung.

Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?

Stein: Um den Substanzwert eines Netzes zu ermitteln, benötige ich als Kennzahl die Substanz(klasse) für jede Haltung des Kanalnetzes. Die Substanz stellt die Gesamtverfassung einer Haltung unter Betrachtung aller ihrer Schäden dar: Sie charakterisiert den verbleibenden Abnutzungsvorrat bis zum Eintreten des zwingend notwendigen Ersatzneubaus. Ein Sanierungshandeln bei entsprechend hohem Abnutzungsvorrat – noch vor dessen völligem Verzehr – ermöglicht den Einsatz von kostengünstigeren Lösungen, etwa durch Renovierung oder Reparatur. Somit sind mit der genauen Kenntnis der Substanz einer Haltung vorausschauende und kostenoptimierte Sanierungsplanungen möglich. Für den Sub-stanzwert wird zusätzlich noch der Wiederbeschaffungswert (WBW) für jede Haltung benötigt. Das Produkt aus Wiederbeschaffungswert und Substanz(klasse) liefert dann den Substanzwert.

Wie können kommunale Netzbetreiber herausfinden, was sie in ihr Kanalsystem investieren müssen – was geht, und was geht nicht?

Stein: Die Festlegung von Investitionsbudgets und die Entwicklung effizienter Sanierungsstrategien für den Erhalt von Entwässerungssystemen ist mit gängigen methodischen Ansätzen nicht zu realisieren: weil die zukünftige Entwicklung des Netzes nicht berücksichtigt wird. Zudem finden im Rahmen der Strategieentwicklung nicht alle relevanten technischen, kaufmännischen und politischen Stellgrößen Berücksichtigung.

Welche Planungsinstrumente empfehlen Sie stattdessen für Prognosen zur nachhaltigen Steuerung des Kanalvermögens?

Stein: Für die Status Quo-Bestimmung wie für die Optimierung des Handelns werden Alterungs- und Strategiemodelle benötigt. Ein System, das wir entwickelt haben und seit Jahren erfolgreich einsetzen, nennt sich STATUS: Es ist ein stochastisches „Alterungsmodell“ zur Analyse, Entwicklung und Optimierung von zukunftsorientierten, integralen Investitions- und Instandhaltungskonzepten für Entwässerungssysteme. Unter integral wird dabei ein langfristig orientierter Lösungsansatz für eine Vielzahl an baulichen, hydraulischen, betrieblichen, umweltrelevanten Problemen unter Berücksichtigung rechtlicher und wirtschaftlicher Zwänge verstanden.

Inwiefern ist der intergenerationelle Aspekt von Bedeutung?

Stein: Die Entwässerungssysteme unserer Städte wurden seit dem 19. Jahrhundert über viele Generationen errichtet und ausgebaut – und das bleibt eine immerwährende Aufgabe. Hierfür werden Alterungs- und Strategiemodelle benötigt, die langfristige Handlungswege aufzeigen und alle Akteure mitnehmen.

Was sollten Kommunen beim Betrieb, bei der Planung, bei der Investitionsoptimierung berücksichtigen?

Stein: Die wichtigste Regel sollte lauten: Manage dein Netz nicht auf Basis eines oftmals historischen Datenbestands, sondern manage die Abnutzungsdynamik, die deinem Kanalnetz innewohnt. Auch dafür benötige ich eine valide, konsistente, vollständige und aktuelle Datenbank, die das vorhandene physische Kanalnetz möglichst korrekt repräsentiert. Aber hier darf nicht Schluss sein, man benötigt zudem Wissen über die zukünftige Entwicklung des Netzes in Bezug auf dessen Zustands- und Substanzentwicklung. Im Rahmen einer optimierten Investitions- und Instandhaltungsstrategie wird auch das innerbetriebliche Erfahrungswissen dokumentiert und konserviert. So macht man den Betrieb auch resilienter gegenüber Mitarbeiterfluktuation und Wissensverlust durch das Ausscheiden von Mitarbeitern.

Interview: Sabine Schmidt

Zur Person: Dr.-Ing. Robert Stein ist unter anderem Geschäftsführer der STEIN Infrastructure Management GmbH. Dort entwickelt er seit 1998 innovative Ansätze zur Optimierung von Investitions- und Instandhaltungsstrategien für Wasserver- und Abwasserentsorgungssysteme.

Foto: 2018, Dr.-Ing. Robert Stein