Der „Denkzettel AfD“, den die Wähler bei den hessischen Kommunalwahlen den etablierten Parteien für deren Haltung in der Flüchtlingsfrage verpassten, ist groß. Von flächendeckenden Sensationsergebnissen bleibt die Protestpartei aber ein ganzes Stück entfernt. Dennoch wird das „Regieren“ in den Rathäusern nicht einfacher, zumal dort inzwischen bis zu zehn und mehr Listen lokalpolitisch mitmischen wollen.
Noch am Montag dieser Woche (7. März 2016) hatte es für die AfD mit einem landesweiten Trendergebnis von 13,2 Prozent nach einem flächendeckenden Erdrutscherfolg bei den Kommunalwahlen in Hessen ausgesehen. Das Ergebnis kam nach der Auszählung jener Stimmzettel zusammen, die nur Listenkreuze trugen und bei denen nicht kumuliert und panaschiert wurde. Das dürften etwa ein Drittel gewesen sein. Die Fokussierung auf diese Stimmzettel aber verzerrt Wahlergebnisse. Denn Protestwähler geben häufig ihre Stimmen geschlossen jener Partei, von der sie sich in ihrem Unmut über den Kurs der etablierten Politik am besten repräsentiert sehen.
Die ersten Endergebnisse zeichnen nun ein anderes Bild, wie die Online-Ausgabe der Zeitung „Der Tagesspiegel“ berichtet. Im Kreis Bergstraße, wo die AfD mit 18,4 Prozent das beste Kreis-Trendergebnis geholt hatte, rutschte ihr Anteil schließlich auf 15,9 Prozent ab. Auch in den allermeisten anderen Kreisen fiel das Ergebnis der abschließenden Auszählung magerer aus als das Trendergebnis. Lediglich im Kreis Fulda und im Lahn-Dill-Kreis wurde das Trendergebnis (13,7 bzw. 8,8 %) übertroffen mit 14,3 beziehungsweise 10,0 Prozent beim vorläufigen Endergebnis.
In Frankfurt verringerte sich das AfD-Ergebnis von 10,3 auf 8,9 Prozent, in Darmstadt von 12,2 auf 9,2 und in der Landeshauptstadt Wiesbaden von 15,9 auf 12,8 Prozent. In Bad Karlshafen, wo am Montagabend mit 22,3 Prozent das höchste AfD-Trendergebnis bei den Gemeindewahlen berichtet wurde, liegt das vorläufige Endergebnis nunmehr bei nur noch 14 Prozent. Auch in Dietzenbach (14,7 statt zunächst 19,6 %) und Volkmarsen (9,8 statt 15,5 % laut Trendergebnis) schnitt die Partei schlechter ab als zunächst im Überflug ermittelt.
Unumstößlich ist jedoch die Tatsache, dass die AfD in jedem Fall mindestens 5 Prozent der Stimmen erringen konnte und sie auch die Wähler der etablierten Parteien erreicht. CDU, SPD und Grüne mussten vielerorts gehörig Federn lassen, wenngleich ihre Verluste dann doch nicht so hoch sind, wie dies die Trendergebnisse zunächst vermuten ließen. Laut vorläufigem Landesergebnis kam die Protestpartei auf immerhin 11,9 Prozent und ist damit drittstärkste kommunale Kraft vor den Grünen (11,3 %).
Zwei weitere Fakten sind bemerkenswert und geben Anlass, nachdenklich zu werden bei der Frage, wie es mit der lokalen Demokratie weitergehen soll: Die mancherorts katastrophal geringe Wahlbeteiligung sowie die große Zahl an Listen, die in den Rathäusern mitregieren wollen. In Darmstadt sind es neun, in Offenbach und Wiesbaden elf, in Frankfurt sogar 15. Die hessischen Kommunalparlamente erleben „italienisch-belgische Verhältnisse“, beschrieb es dieser Tage der Kasseler Politologe Professor Wolfgang Schroeder in einem Gastbeitrag für die Online-Ausgabe der „Frankfurter Rundschau“. Diese Zersplitterung der Stadtverordnetenversammlungen ist Folge des Schwindens der Integrationskraft der großen Parteien. Keiner gelang es in den fünf größten Städten des Landes, die 30-Prozent-Marke zu überschreiten.
Es wird, sagt Schroeder, um eine neue demokratische Kultur in den Stadtparlamenten gehen. Weil die starke parteipolitische Überformung der Räte durch eine Koexistenz von Parteien, Wählervereinigungen und freien Listen abgelöst wird, sind statt starker Koalitionen künftig sach- und themenorientierte Bündnisse mit wechselnden Partnern gefragt. Ob solche Bündnisse mit der AfD gelingen, darf zunächst einmal bezweifelt werden. Denn bei ihr spielen kommunalpolitische Themen keine Rolle, ihren kommunalen Programmen fehlen, so Schroeder, übergreifende kommunalpolitische Leitlinien.
Wolfram Markus