Intelligenz der Vielen nutzen

Regionale Mobilität zu gestalten, ist ein komplexer Prozess. Zu Beginn sollten die unterschiedlichen Interessenlagen wie auch die planerischen Anforderungen transparent gemacht werden. Kooperationen mit gemeinsamem Projektmanagement haben ganz andere Möglichkeiten als kommunale Einzelkämpfer.

Kommunen stehen immer wieder vor erheblichen Herausforderungen, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige und attraktive Region zu schaffen. Im Rahmen der Regionalentwicklung gilt es, die Interessen unterschiedlicher Akteursgruppen zu berücksichtigen. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der Gestaltung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte. Es gibt keine einfache Antwort auf solch komplexe Fragestellungen (vgl. zum Umgang mit Komplexität den Beitrag „Mit Mut und Verstand“ in der gemeinderat, 2/2018, S. 56). Vielmehr gilt es, eine Reihe von miteinander verknüpften Einflussgrößen zu beachten, die sich im Laufe der Zeit verändert haben.

Der beispielhafte Blick in eine Region zeigt den Status quo, der die Auseinandersetzung mit alternativen Formen von Mobilität erforderlich macht. Die Region ist ländlich geprägt, das Oberzentrum von einem großen Arbeitgeber dominiert. Das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs ist recht dünn und damit für die wachsende Zahl an Pendlern aus dem Umland unattraktiv. Die Strahlkraft des Oberzentrums wirkt über die Region hinaus, die Einpendlerquote liegt bei über 20 Prozent. So wird das Oberzentrum täglich zu den Stoßzeiten zum Nadelöhr für den motorisierten Individualverkehr (MIV), denn die Belastungsgrenze der Verkehrsinfrastruktur ist erreicht.

Die Folge sind tägliche Staus, verbunden mit erhöhten Lärm- und Abgasemissionen sowie erhöhten Unfallzahlen. Ebenso liegt das Parkraumangebot zeitweise weit unter dem Nachfrageniveau. Da die Stadt kaum gesonderte Busspuren hat, stehen auch ÖPNV-Nutzer regelmäßig im Stau, und die relative Attraktivität des ÖPNV gegenüber dem MIV sinkt weiter. Die Aussicht auf tägliche Verspätungen und Stress durch das Pendeln mit dem eigenem Pkw reduziert langfristig auch die Attraktivität der Region.

Die Betrachtung der Ist-Situation legt den Handlungsbedarf offen. Sind die betroffenen Kommunen und Landkreise bereit, zusammenzuarbeiten, können gemeinsame Projekte unter dem Dach eines Regionalmanagements, zum Beispiel als Öffentlich-Private Partnerschaft umgesetzt werden. Gerade das Thema Mobilität macht deutlich, dass einer Region in Kooperation ganz andere Möglichkeiten offenstehen als einem kommunalen Einzelkämpfer.

Gespräch mit offenem Ausgang

Um die Intelligenz der Vielen nutzen zu können, gilt es, Vertreter der Kommunen, der Unternehmen, von Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie die Bürger einzubeziehen. Der gemeinsame Gestaltungsprozess ist ein ergebnisoffener Austausch mit dem Ziel, aus verschiedenen Ideen ein zukunftsfähiges Konzept zu entwickeln.

Die Tatsache, dass meist jede Partei zu Beginn eine eigene Lösung im Kopf hat, ist im komplexen Umfeld eine besondere Herausforderung. Dieses Herangehen klammert die Interessen der anderen Beteiligten von vorneherein aus, der Weg zu einer gemeinsamen Zielfindung ist blockiert, denn „jeder meint, dass seine Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit ist“ (Paul Watzlawick). Daher müssen als Erstes die unterschiedlichen Interessen transparent gemacht werden.

In einem moderierten Prozess bereiten alle Vertreter ihre Sicht auf neue Mobilitätskonzepte in der Region auf. Die Aufbereitung erfolgt anhand von Leitfragen: „Was sind meine aktuell größten Probleme im Kontext der Mobilität?“ und „welche Anforderungen muss ein neues Mobilitätskonzept in der Region aus meiner Sicht erfüllen?“. Die identifizierten Anforderungen werden priorisiert und kategorisiert („muss/kann“). In diesem Prozess werden die Beteiligten sich über ihre konkrete Situation bewusst und lernen andere Rahmenbedingungen, Lösungsansätze und Bewertungskriterien kennen. Diese Methode ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kollaboration im komplexen Umfeld.

Konzentration auf zentrale Handlungsfelder

Eine weitere Herausforderung stellt die Berücksichtigung aller relevanten Einflussgrößen auf der richtigen Betrachtungsebene des Gesamtsystems dar. Statt sich in Details zu verlieren und beispielsweise über einzelne Straßen zu diskutieren, ist es wichtiger, zentrale Handlungsfelder aufzugreifen. Dazu zählen die Entwicklung von sich ergänzenden Angeboten, die zu den Wegeketten der Pendler passen, eine integrierte Verkehrs- und Kommunalentwicklung im Einklang mit kommunalen Fachplänen und Nachhaltigkeitszielen sowie die Vermarktung des zu entwickelnden Mobilitätskonzepts. Auf dieser Basis können Maßnahmen abgeleitet werden, die in ein von allen Beteiligten mitgetragenes Umsetzungskonzept münden.

Ein ganzheitliches Mobilitätskonzept setzt auf verschiedene Maßnahmen wie etwa eine Kombination aus Sharing Economy, zum Beispiel für Fahrräder und Pkw, Ideen zur Förderung von Elektromobilität oder ein bedarfsgerechtes ÖPNV-Netz. Wer also bereit ist, zu experimentieren, statt auf Altbewährtes zurückzugreifen und aus Fehlern zu lernen, kann flexibel agieren, auch wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Wie sich beispielsweise unsere Mobilität durch autonomes Fahren und die Möglichkeiten der Digitalisierung verändern wird, lässt sich heute nur schwer abschätzen. Ein gewisser Gestaltungsspielraum sollte daher bei der Planung gelassen werden.

Anja Berghammer

Die Autorin
Dr. Anja Berghammer ist Consultant beim Beratungsunternehmen Icondu in Ingolstadt