Hochwasser oder Stromausfall, Folgen des Klimawandels oder Sabotage: Kommunen sollten Wert darauf legen, dass alle vorbereitet und bereits bei den Planungen im Boot sind – nicht nur die Einsatzkräfte, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger, empfiehlt Krisenexperte Uwe Rühl.
Umweltkatastrophen wie Hochwasser und starke Stürme, die Gefahr von Blackouts, Verzögerungen aufgrund von Zugausfällen, oder auch lange Wartezeiten bei Behörden und Dienstleistern, weil Personal fehlt: Im Zuge des Klimawandels, des Ukraine-Kriegs sowie des Arbeitskräftemangels sind wir immer mehr Bedrohungen ausgesetzt – und können davon ausgehen, dass der Krisenmodus anhält.
Darauf müssen sich nicht nur Unternehmen, sondern auch Städte und Gemeinden vorbereiten. Der Status quo ist allerdings: Sie sind nicht richtig gerüstet für all die Gefahren und Krisen. Zwar gibt es Organisationen und Behörden, die sich um Kritische Infrastrukturen für unser Zusammenleben und deren Schutz kümmern sollen. Doch das reicht in den wenigsten Fällen aus. Städte und Gemeinden müssen sich verändern, um im Notfall richtig agieren zu können. Zielführend ist es, die Community zu stärken: „Community Resilience“ ist das Stichwort.
Die Coronakrise oder auch die Flutkatastrophe 2021 an der Ahr haben deutlich gezeigt, wie wichtig Zusammenhalt für unser Zusammenleben ist. Sie zeigen auch: Wenn es darauf ankommt, einander zu helfen und zu unterstützen, kooperieren Menschen. Eine Notlage verstärkt diesen Effekt nachweislich.
Erinnern wir uns an den Anfang der Coronapandemie: Die Nachbarschaftshilfe lebte auf, Gaststätten und Kneipen erhielten Unterstützung durch Crowdfunding, Sportvereine und Einzelpersonen organisierten den Wocheneinkauf für Menschen, die zu den besonders betroffenen Risikogruppen gehörten.
Auch die Hochwasserkatastrophe hat gezeigt, wie groß der Wille zu helfen ist. Es gab Spenden – und zudem kamen Hunderte bepackt mit Schaufeln, Besen, Abziehern und Eimern an die Ahr, um vor Ort mit anzupacken.
Leider sind zahlreiche solcher Hilfsprojekte improvisiert und deswegen teils kontraproduktiv. So hörte man bei der Flutkatastrophe an der Ahr in den ersten Tagen immer wieder Warnungen, dass die Helfer Zufahrtsstraßen verstopfen könnten. Aber auch organisierte Hilfen müssen sich vorwerfen lassen, nicht oder nur unzureichend zu greifen. Der Grund: Die Kommunen sind auf manche Szenarien schlicht nicht vorbereitet.
So wie es in vielen Wirtschaftsunternehmen gang und gäbe ist, brauchen daher auch Gemeinden und Städte dringend Managementsysteme. Sie unterstützen dabei, Hilfsprojekte zu organisieren, und alle Mitglieder der Community können sich auf mögliche Szenarien vorbereiten.
Ein Rahmenwerk, mit dem Kommunen solche Managementsysteme entwickeln können, existiert mit der ISO 37101:2016 bereits. Diese Norm soll der nachhaltigen Entwicklung in Gemeinden dienen und ihnen helfen, widerstandsfähiger zu werden. Sie liefert zwar für den Notfall weder konkrete Lösungen, noch gibt sie bestimmte Instrumente an die Hand. Aber sie bietet eine Systematik an, um diese zu entwickeln.
Alle ins Boot holen
Wichtig für Community Resilience ist zudem, alle Interessensgruppen wie Stadtverwaltung, Nachbarschaftsverbände und Feuerwehr einzubeziehen. Die englische Stadt Liverpool macht das im Zusammenhang mit ihrer Überflutungsproblematik in vorbildlicher Weise: Sie hat eine „Flood Resilience Community Pathfinder“-Initiative gegründet, die einen Wegweiser für Widerstandsfähigkeit gegen die Flut erarbeitet hat.
Dieses Briefing gibt es in verschiedenen Sprachen, so dass es alle Einwohner und Einwohnerinnen erreicht. Zudem wurden so genannte Flood Action Groups etabliert. Ganz nach dem legendären Motto des dortigen Fußballvereins: „You’ll never walk alone!“ Bei Häusern, die es nötig hatten, konnten so spendenfinanziert Fluttüren und ähnliche Schutzmaßnahmen eingebaut werden.
Notwendige Unterstützung für jene Personen zu liefern, die auf die Gemeinschaft angewiesen sind, damit sie schwierige Situationen überwinden beziehungsweise sich an sie anpassen oder vielleicht sogar gestärkt daraus hervorgehen können: Darauf kommt es an. Auch Unternehmer und Unternehmen aus der Community sind per se bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie können gute Multiplikatoren und Partner für die Gemeinden sein. Letztlich gilt es aber vor allem, Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, damit Bürgerinnen und Bürger mehr Verantwortung übernehmen und sich mit den potenziellen Gefahren auseinandersetzen.
Gezielt auf die Nachbarn setzen
In Australien, Neuseeland und Skandinavien wird dies schon vielerorts praktiziert. Gemeinden dieser Länder haben Programme zur Nachbarschaftshilfe gegen Überflutungen, Erdbeben, aber auch den Klimawandel im Allgemeinen ins Leben gerufen.
Auch in Deutschland könnte man über lokale Hilfsorganisationen und die Feuerwehr Selbsthilfetätigkeiten von Nachbarschaften und Kommunen gezielt stärken, etwa mittels Ausbildungen vor Ort und eventuell auch gemeinsamen Übungen. Wichtig ist dabei, keine „Weltuntergangsstimmung“ zu verbreiten. Vielmehr soll Resilienz gefördert werden.
Checklisten helfen
Resilienz hat mit Robustheit und Anpassungsfähigkeit zu tun. An beiden Stellen können und müssen Bürger und Gemeinden zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu überlegen, wo man sich gemeinsam gegen Bedrohungen stemmen kann und wo man gemeinsam Änderungen herbeiführen sollte. Zudem sollte sich jede Bürgerin, jeder Bürger folgende Fragen stellen – die Gemeinden können mit Checklisten hier unterstützen:
- Bin ich in der Lage, mich und meine Familie für eine gewisse Zeit, etwa für 14 Tage, autark zu versorgen – mit allem, was zum Überleben nötig ist?
- Bin ich in der Lage, mir selbst und Nachbarn zu helfen, wenn zum Beispiel eine Flut meine Kommune trifft?
- Wäre ich in der Lage, meine Stadt schnell und dennoch mit Bedacht zu verlassen, um an anderer Stelle Unterschlupf zu finden? Könnte ich dabei auch anderen Unterstützung geben, die nicht mobil sind?
- Wie steht es um meine Selbst- und Nachbarschaftshilfefähigkeiten, zum Beispiel bei Stromausfällen?
Noch etwas ist sehr wichtig: Gemeinden sollten sicherstellen, dass ihre organisierten Hilfskräfte wie Feuerwehr oder Bauhof selbst so resilient sind, dass sie Hilfe leisten können – auch bei länger dauernden Schadensfällen.
Uwe Rühl
Der Autor
Uwe Rühl ist Geschäftsführer des Resilience Operations Centers und ehemaliger Einsatzleiter im Katastrophenschutz.