Das Konzept der kokreativen Kommune beschreibt den Ort, an dem Menschen gemeinsam ihre Ideen zur Gestaltung des Gemeinwesens entwickeln. Die Form der Bürgerbeteiligung und Zusammenarbeit wird je nach Thema gewählt.
Die Aufgabe von Politik und Verwaltung ist, solche Projekte zu ermöglichen.
Unser Verständnis von Kommune ist ständig im Wandel. War es im Mittelalter eine Schutzgemeinschaft gegen äußere Bedrohungen und im Kaiserreich eine patriarchal-autoritäre Lokalregierung, ist das Bild der Kommune seit den 1990er-Jahren vom Leitbild des New Public Management geprägt. In Deutschland ist es auch als Neues Steuerungsmodell bekannt. Vereinfacht gesagt bedeutet dieses Leitbild, dass wir eine Kommune wie ein Unternehmen betrachten. Bürger sind Kunden, die Politik ist die strategische Unternehmensführung, Verwaltungen sind die operationalen Dienstleistungsabteilungen. Steuerung und Management sind die wichtigsten Begriffe, die kommunales Handeln beschreiben. Dieses Leitbild wirkt sich auf unser Zusammenleben aus.
Demgegenüber entwickelt sich ein neues Bild, in dem Bürger wieder Bürger sind, mit demokratischen Rechten und Pflichten, vor allem aber mündige und engagierte Mitgestalter. Nach diesem Leitbild organisiert die Politik die Meinungsbildung, Debattenentwicklung und unterstützt bei der Entwicklung politischer Ideen. Die Verwaltung organisiert und ermöglicht die Entwicklung, Planung, Umsetzung und den dauerhaften Erhalt von Projekten. Die Kommune wird zu dem Ort, wo wir gemeinsam und kreativ unsere lokale Zukunft gestalten.
Im Folgenden werden Kennzeichen und Aspekte der Umsetzung dieses neuen Leitbilds unter der Bezeichnung kokreative Kommune erörtert.
Kommunikation auf Augenhöhe
Das Bild von denen da oben und denen da unten ist nicht nur falsch, es befördert auch Ressentiments und Populismus. Flache Hierarchien sind dagegen ein Merkmal einer kokreativen Kommune. Wir arbeiten gemeinsam an Problemen und Vorstellungen eines guten Zusammenlebens. Dazu gilt es sich offen zu zeigen, keine versteckten Agenden zu verfolgen und alle Beteiligten auf den gleichen Informationsstand zu bringen. Wir machen keine Public Relation und „verkaufen“ niemandem etwas, sondern kommunizieren auf Augenhöhe miteinander. Wir entwickeln neue Formate, um miteinander zu sprechen, zum Beispiel offene Foren und Dabattenorte. Das kann eine Gemeinschaftslounge im Rathaus sein oder ein offenes Wohnzimmer. Das Anliegen ist konkrete Zusammenarbeit statt Repräsentation.
Lokale Gemeinschaft der Engagierten
Egal ob Kiez, Bezirk oder Dorf: Dort wo Menschen sich mit einem Ort identifizieren und ihren Alltag verbringen, kann lokale Gemeinschaft entstehen. Die Gemeinsamkeit liegt heute im Interesse und Engagement für den Ort, nicht im gleichen Lebensstil oder in den gleichen Ansichten. In kokreativen Kommunen gelingt es, diese Gemeinschaften in ihrer Verschiedenartigkeit zusammenzubringen. Dazu braucht es Moderationskompetenzen und kollaborative Führungsqualitäten in Politik und Verwaltung. Mit dem aus dem angelsächsischen Raum stammenden Konzept des Community Organizing sind zum Beispiel hilfreiche Methoden verbunden, um Gemeinschaften aufzubauen und zu pflegen.
Kontinuierliche Beteiligung
Die Vorstellung, Beteiligung sei so etwas wie eine Kundenbefragung am Anfang eines Planungsprozesses, bei der man die Wünsche der Bürger einsammelt und dann mit Experten konventionell weiterentwickelt, ist veraltet. Die Planungsphase 0 reicht nicht aus. In der kokreativen Kommune ist Beteiligung eine stetiger, kontinuierlicher Prozess, der sowohl alle Planungsphasen einzelner Vorhaben als auch die Zusammenhänge zwischen den Vorhaben in den Blick nimmt. Für solche kontinuierliche Beteiligung müssen geeignete Formate gefunden und etabliert werden, zum Beispiel regelmäßige Stadtteilwerkstätten, Kommunallabore oder kommunale Coworking Spaces.
Projektarbeit
In der kokreativen Kommune werden Projekte zum Nutzen aller entwickelt. Die Verantwortung dafür liegt bei den Engagierten selbst, Politik und Verwaltung werden zunehmend zu Ermöglichern. Wo Engagement vorhanden ist, wird es gefördert. Hürden werden abgebaut. Die Engagierten sind dafür verantwortlich, dass ihr Projekt innerhalb der Kommune Zustimmung findet, andere Akteure eingebunden werden und eine Umsetzung möglich wird.
Fehler- und Innovationskultur
Wo Neues ausprobiert, Ideen entwickelt und Projekte umgesetzt werden, passieren Fehler. Eine innovative Zusammenarbeit ist nur möglich, wenn man offen und lernbereit ist und mit Fehlern und Schwierigkeiten lösungsorientiert umgeht. Eine solche Kultur der Zusammenarbeit muss eingeübt werden. Auch dazu gibt es Kompetenzen und Methoden, die sich Politik und Verwaltung als Teil ihres Repertoires aneignen können, zum Beispiel im Design Thinking, im Sozial-Design und im partizipativen Gestalten.
Gestaltete Verfahren
Viele Verfahren der kommunalen Arbeit sind formal vorgegeben. Noch größer ist aber der informelle Bereich, in dem sich Menschen miteinander austauschen, Ideen und Konzepte entwickeln und Projekte umsetzen. Für diesen Bereich haben wir freie Hand, den eigenen Bedürfnissen entsprechende informelle Verfahren zu entwickeln. Das muss nicht immer der Arbeitskreis oder die Bürgerversammlung sein, sondern beispielsweise Stadtwerkstätten, Bürgergutachten und -haushalte, Themenräte (z. B. Zukunfts-, Kultur- und Ernährungsräte).
Prozessarbeit und Kultivierung
Bei allen Methoden, Formaten und Verfahren sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die gemeinsame Gestaltung der Zukunft immer in Gruppenprozessen abläuft. Letztlich stoßen wir in der Kommune in all unserer Menschlichkeit aufeinander, mit Geschichte und Geschichten, Krisen und Konflikten, Missverständnissen, Enttäuschungen, Hoffnungen und Träumen. In der kokreativen Kommune begegnen wir diesen Prozessen mit Mut, Neugier und Offenheit. Wir wissen: Das Neue kann nur entstehen kann, wenn wir mit dem Alten aufgeräumt haben.
Jascha Rohr
Der Autor
Jascha Rohr ist Geschäftsführer des Instituts für Partizipatives Gestalten (IPG) mit Sitz in Oldenburg und begleitet Kommunen in partizipativen Entwicklungsprozessen