Der Stadtverkehr der Zukunft soll kundenfreundlich, attraktiv und umweltverträglich sein. Mit welchen Lösungen können die Kommunen das erreichen? Viele Hoffnungen verbinden sich mit sogenannten Mobilitätsplattformen, die Angebote bündeln. Auch die Stadt Stuttgart ist davon angetan.
Das Interesse am Thema Smart City nimmt zu. Und damit auch das Angebot an Fachmessen, bei denen sich alles um nachhaltige Stadtentwicklung dreht. In Europa ist die Urban Future Global Conference derzeit das größte Event auf diesem Gebiet. Im Mai 2019 war Oslo der Austragungsort. Die Fachwelt diskutierte über Smart City und neue Konzepte – allen voran sogenannte City Changer, die Städte lebenswerter machen möchten, das heißt im Idealfall autofrei, CO2-emmissionsarm, sauber und energieeffizient. Doch was lässt sich in der Realität umsetzen, welche Ansätze sind sinnvoll?
Dr. Michael Münter ist Leiter des Referats Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart und meint: „Was die städtische Entwicklung betrifft, gibt es keinen Tag X, von dem man sagen kann, das ist jetzt die neue Stadt von heute. Wir merken immer wieder, dass die Städte sich in einem konstanten Veränderungsprozess befinden. Dieser hat sicherlich in den letzten Jahren deutlich an Geschwindigkeit zugenommen.“
In Deutschland werden laut bis 2030 rund 79 Prozent der Bevölkerung in Städten leben. Deshalb benötigt es vor allem in den Ballungsgebieten innovative Lösungswege, um die Mobilität zu organisieren. Das Ziel ist eine Stadt, in der mithilfe der Digitalisierung und neuen Infrastrukturen den Kunden attraktive Mobilitätsangebot gemacht und zudem Staus und Emissionen reduziert werden können.
IT-Konzerne wie Google mit Waymo und Baidu mit Apollo zielen auf den Markt für autonom fahrende Taxis. Wer das Betriebssystem dieser Fahrzeuge stellt, hat den digitalen Zugang zum Kunden. Auch neue Dienstleister wie Uber oder Lyft dringen mit ihren Services in den urbanen Mobilitätsmarkt ein. Diese Angebote sind eine erhebliche Konkurrenz vor allem für die öffentlichen Anbieter.
Was bewirken Fahrverbote und Citymaut?
Aktuell führt das Angebot der neuen Herausforderer aber eher dazu, die Verkehrsemissionen in den Städten zu erhöhen. Das belegt eine aktuelle Studie aus den USA. Demnach wurden durch Uber und Co. jährlich 9,2 Milliarden Kilometer zusätzlich an Pkw-Verkehr erzeugt. In San Francisco, wo die Fahrdienstleister alleine im Jahr 2016 für 26 Stunden mehr Stau verantwortlich waren, wird derzeit diskutiert, ob diese Fahrten mit einer zusätzlichen Gebühr versehen werden sollen.
Auch hierzulande versuchen Städte mit Dieselfahrverboten die Schadstoffemissionen zu senken. Mit Blick auf Stuttgart meint Michael Münter dazu: „Prinzipiell sind wir seitens der Stadtverwaltung gegen Verkehrsverbote. Aber wir haben natürlich auch die Aufgabe, unsere Bevölkerung zu schützen und beispielsweise für saubere Luft zu sorgen. Streng genommen ist zum Beispiel eine Fußgängerzone ja auch ein Verbot, da diese für Autos nicht befahrbar ist. Dieses Verbot würde wahrscheinlich kaum jemand in Frage stellen.“
In London zum Beispiel hat der Effekt, der durch ein Fahrverbot in der Innenstadt ausgelöst wurde, wieder nachgelassen. Das liegt insbesondere daran, dass es diverse Ausnahmeregelungen gibt. Deshalb setzt Europas größte Metropole jetzt auf einen anderen Weg zur Luftverbesserung. Seit einigen Monaten weisen in der Londoner Innenstadt Schilder auf sogenannte Umweltzonen hin. Autos, die nicht dem Schadstoffstandard Euro 4 (Benziner) oder Euro 6 (Diesel) entsprechen, müssen 24 Pfund pro Tag bezahlen, wenn sie diese „Ultra Low Emission Zone“ befahren möchten.
Doch sind Citymauts und Verbote geeignet, um die Anzahl der Fahrzeuge in den Städten zu reduzieren? Mobilitätsexperte Marcus Willand vom Beratungsunternehmen MHP steht diesen Mitteln eher kritisch gegenüber. Er sagt: „Sanktionen oder Incentivierungen allein führen selten zu nachhaltigen Veränderungen, wie das Beispiel um die Londoner Citymaut gezeigt hat. Zudem sind sie politisch schwer umzusetzen, da es sich oft um unpopuläre Maßnahmen handelt.“
Die Bundesregierung ruft dazu auf, dass in Zukunft Stadtwerke, Energieunternehmen und der Öffentliche Personennahverkehr kooperieren müssen, um gemeinsam den Weg zu einer Smart City zu gehen. Den Kunden soll mithilfe von Apps ein digitaler Zugang zu unterschiedlichen Mobilitätsangeboten geschaffen werden. Bundeswirtschaftsminister Altmaier denkt an eine gemeinsame Mobilitätsplattform für Deutschland. Berater Willand formuliert seine Vorstellung: „Damit diese Mobilitätsplattform allerdings funktioniert und die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen wie die Senkung der Emissionen unterstützt, darf diese nicht allein in privater Hand liegen, wie es beispielsweise bei Uber der Fall ist.“ Jeder Mobilitätsanbieter, unabhängig ob privat oder öffentlich, sei eingeladen, Teil einer solchen Mobilitätsplattform zu werden, und müsse sein Angebot diskriminierungsfrei platzieren können. Neutrale Plattformanbieter drängen mit sogenannter White-Label-Technologie bereits in diesen Markt.
E-Lastenräder für Stuttgarter Familien
Ein Beispiel, wie diese gemeinsamen Mobilitätsplattformen aussehen können, ist die erst kürzlich gelaunchte App Jelbi, eine multimodale Lösung des Start-ups Trafi und der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Über die App sollen in Zukunft diverse Anbieter wie Carsharing-Unternehmen, die Deutsche Bahn oder auch Taxibetriebe zusammengefasst werden. Ziel ist es, dem Nutzer die volle Transparenz und Freiheit bei der Wahl seiner Mobilität zu geben. Freilich ist das nur der Anfang. Angebote der Ladeinfrastrukturen für E-Mobilisten und der Parkraumanbieter sind noch zu integrieren, die erforderliche Vernetzung in die Infrastruktur sicherzustellen.
Ein weiteres Pilotmodell, initiiert von der Stadt Göteborg in Schweden, wurde auf der diesjährigen Urban Future Global Conference in Oslo präsentiert. Hierbei geht es um ein Projekt, das auf Basis eines gemeinsamen Mobilitätsbudgets arbeitet. Ein Anwendungsszenario: Eine Familie organisiert und bezahlt sämtliche Fahrten und Transporte über eine App, ein zentrales Zugangsmedium. Darüber kann der Vater zum Beispiel morgens ein Carsharing-Auto für den Weg zur Arbeit bestellen, die Kinder einen E-Scooter für den Nachmittag buchen oder die Tochter nach einem Discobesuch ein Taxi kommen lassen.
„Dieses Pilotprojekt war sicherlich eines der interessantesten, das auf der Konferenz präsentiert wurde“, sagt Michael Münter. „Auch wir hier in Stuttgart werden uns das nochmals genauer ansehen und prüfen, was wir davon für die Stadt anwenden und umsetzen können.“ m vergangenen Jahr wurde in der baden-württembergischen Landeshauptstadt mithilfe des Förderprogramms „E-Lastenräder für Stuttgarter Familien“ ein Angebot geschaffen, um an der einen oder anderen Stelle Alternativen zur Autonutzung zu bieten. Dabei konnten Familien eine finanzielle Unterstützung von bis zu 2000 Euro von der Stadt erhalten. „In den ersten Wochen sind wir regelrecht überrannt worden“, resümiert Münter. „Wir konnten damals bereits rund 300 Förderanträge bewilligen. In diesem Jahr haben wir das Programm neu aufgelegt.“ Dieses Projekt, sagt Münter, sei ein Beispiel dafür, dass die Stadt zwar die Digitalisierung als einen wichtigen Baustein sehe, um die Mobilität besser zu organisieren, dass es mitunter aber auch „einfache“ Maßnahmen seien, die wirken könnten.
Daniela Mentzel
Die Autorin
Daniela Mentzel, Sindelfingen, ist Fachjournalistin