Reinigung auf der vierten Stufe

Die öffentliche Abwasserentsorgung erbringt anerkannt gute Leistungen. Um diese auch in Zukunft gewährleisten zu können, suchen die Kommunen und Fachverbände nach Lösungen zur Bewältigung neuer großer Herausforderungen. Die Stichworte lauten Klimawandel, Digitalisierung und Vierte Reinigungsstufe.

Medienwirksam und weil wir es alle offensichtlich wahrnehmen können, wird in Deutschland viel über den Investitionsstau bei Straßen und Brücken diskutiert. Unter unseren Füßen im Kanal- und Regenbeckennetz und auf den Kläranlagen besteht aber ebenfalls ein erheblicher Reinvestitionsbedarf. Dies erscheint kaum nachvollziehbar, weil die notwendigen Mittel für Reinvestitionen eigentlich zur Verfügung stünden. Denn die Abwassergebühr wird in der Regel bis zur Hälfte von Kapitalkosten bestimmt, und zwar von Zinsen und Abschreibungen.

Viele Kommunen und abwasserwirtschaftliche Verbände haben dieses Geld in den Erhalt ihrer Infrastruktur investiert. Allerdings wurden die finanziellen Mittel teilweise auch nicht zweckgebunden eingesetzt. Zudem sind die Einnahmen aus den Abwassergebühren in den letzten Jahren oftmals unter das notwendige Maß gesunken, unter anderem weil die Abschreibungszeiten deutlich verlängert und die Abschreibung vom Wiederbeschaffungszeitwert auf den Anschaffungswert umgestellt wurden. Durch diese Entwicklung ist das Reinvestitionsniveau mancherorts so weit gesunken, dass Anlagen bis zu 200 Jahre Lebensdauer erreichen müssten.

Um den vorhandenen guten und notwendigen Standard zu erhalten, sind also in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in vielen Abwasserunternehmen deutlich höhere Reinvestitionen nötig, als bisher. Hier können Organisationsformen der öffentlichen Hand hilfreich sein, die eine zweckgebundene Einnahmenverwendung sicherstellen.

Wassersensible Stadtentwicklung

Zu den maßgeblichen neuen Herausforderungen der Abwasserentsorgung zählt der Klimawandel. Abwasseranlagen sind große Energieverbraucher und können durch Energieeffizienzmaßnahmen sowohl zum Klimaschutz beitragen als auch die Energiekosten optimieren. Aber Abwasserunternehmen stehen auch im Fokus, wenn es um die Folgenbeherrschung des Klimawandels geht. Starkregen und Sturzfluten können nicht vollständig in Kanal- und Regenbeckennetzen abgeführt oder gespeichert werden. Die Fachleute der Abwasserentsorgung haben aber das fachliche Wissen, die Sicherung von Leib und Leben sowie der hochwertigen Infrastrukturgüter zu gewährleisten.

So können bei entsprechenden Planungen Straßen, Plätze und Grünbereiche durch hydraulische Gestaltungen gezielt als Überflutungsfläche aktiviert werden (Stichwort „Straße zum Kanal“). Vorausschauende Kommunen bündeln diese Aktivitäten unter dem Oberthema „wassersensible oder wassersensitive Stadtentwicklung“. Um diese Aufgaben wirtschaftlich umsetzen zu können, müssen die Wasserwirtschaftler frühzeitig in die Planungsprozesse der Stadtentwicklung und Bauleitplanung eingebunden werden.

Ein wichtiges Thema für die Abwasserentsorgung wird die Klärschlammentsorgung außerhalb der Landwirtschaft und eine damit verbundene Rückgewinnung von endlichen Ressourcen wie Phosphor und Metallen sein. Ob der zurzeit priorisierte Weg der Klärschlamm-Monoverbrennung tatsächlich einen Königsweg darstellt, bedarf sicherlich noch einer genaueren Bewertung, zumal heute in vielen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben alternative innovative Lösungen untersucht werden.

Auch bezüglich der Elimination von sogenannten Spurenstoffen (auch Mikroverunreinigungen oder Mikroschadstoffe genannt) stehen die Abwasserentsorger vor einer neuen Herausforderung. Es geht dabei um Arzneimittelrückstände und viele Stoffe mehr, die der Mensch in den Umlauf und damit in das Wasser bringt, aber selber nicht mit seinen Sinnen erfassen kann.

Ebenfalls in der Diskussion sind die Fragen, ob im Abwassersystem die für unsere Gesundheit so kritische Entwicklung von Antibiotikaresistenzen und multiresistenten Keimen gefördert wird und ob ein Beitrag zur Verhinderung geleistet werden muss. Zudem steht der Rückhalt von Mikroplastik, wie sie zum Beispiel in Kosmetika vorkommt, auf der Agenda.

Einsatz von Aktivkohle und Ozon

All dies wird in der Fachwelt zurzeit unter dem Oberbegriff „Vierte Reinigungsstufe“ diskutiert. Hierfür werden technische End-of-the-pipe-Lösungen entwickelt, wie zum Beispiel der Einsatz von Aktivkohle und Ozon. Bei umgesetzten Projekten hat sich gezeigt, dass Bürger bei guter Aufklärung meist mit großer Mehrheit bereit sind, die letztlich überschaubaren Mehrkosten für diese nachgeschaltete Technologie zu tragen.

Allerdings muss vor einer flächendeckenden Umsetzung derartiger zusätzlichen Behandlungsstufen ein Willensbildungsprozess in der breiten Öffentlichkeit und Politik erfolgen. Dabei ist das Prinzip „Vermeidung an der Quelle“ vorrangig, zumindest aber ergänzend zur End-of-the-pipe-Lösung zu behandeln.

Auch die Abwasserentsorgung wird sich zukünftig innovativer Methoden der Digitalisierung bedienen müssen – Stichwort „Industrie 4.0“. Dabei geht es unter anderem um Datenerfassung und -verarbeitung sowie um Automatisierung mit dem Ziel der Anlagenoptimierung und der Kosteneffizienz. Allerdings ist diese Entwicklung unter dem Aspekt des Schutzes von kritischen Infrastrukturen problematisch.

Auch wenn formaljuristisch laut Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen (BSI-KritisV) nur Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 500.000 Einwohnerwerten und Kanalnetze mit mehr als 500 000 angeschlossenen Einwohnern unter das IT-Sicherheitsgesetz fallen, sind letztlich alle Betreiber betroffen. Diese Einschätzung leitet sich unter anderem aus Paragraf 324 „Gewässerverunreinigung“ des Bürgerlichen Gesetzbuches ab. Wenn durch einen digitalen Angriff auf eine Abwasseranlage egal welcher Ausbaugröße eine Gewässerverschmutzung eintritt und dem Anlagenbetreiber nachgewiesen wird, dass er diese Verschmutzung durch einen angemessenen Schutz hätte verhindern können, ist eine Strafverfolgung zu erwarten.

Bei der Planung von Abwasseranlagen sind die vorgenannten neuen Perspektiven und Herausforderungen zu berücksichtigen. Dabei können innovative Planungsansätze wie das Building Information Modeling (BIM) hilfreich sein, haben aber noch nicht den Standard, der für die Objektplanung der komplexen Anlagen der Abwasserentsorgung benötigt wird. Auch hier ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten.

Markus Schröder

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder ist geschäftsführender Gesellschafter bei der Ingenieurgesellschaft Tuttahs & Meyer in Aachen sowie Vizepräsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) mit Sitz in Hennef