Perspektiven der Abwasserentsorgung

Die Kommunen und Entwässerungsbetriebe brauchen Konzepte, um ihre Anlagen zur Entwässerung und Abwasserbehandlung an demografische Veränderungen anzupassen. Auf dem Land zum Beispiel wird der Einsatz von dezentralen Kleinkläranlagen an Bedeutung gewinnen.

Der demografische Wandel gilt als eine der großen Herausforderungen für die Kommunen und Regionen in Deutschland. Dabei werden in der Regel zwei Aspekte hervorgehoben: die veränderte Altersstruktur sowie der Bevölkerungsrückgang und Wanderungsbewegungen.

Beide Entwicklungen laufen regional sehr unterschiedlich ab. Es finden Wanderungsbewegungen von Region zu Region statt, aber auch unterschiedliche Bevölkerungsentwicklungen innerhalb einer Region oder sogar innerhalb einer Stadt. Für eine abwassertechnische Planung gibt es zwar Tendenzen, aber keine einfache, allgemein gültige Antwort auf den demografischen Wandel. Die in jedem Fall erforderliche differenzierte Einzelbetrachtung muss sich deutlich stärker als bisher auf das Gesamtsystem von Kläranlage, Regenbecken- und Kanalnetz beziehen. In diesem Zusammenwirken steckt ein erhebliches Optimierungspotenzial zur Anpassung an sich verändernde Abwasserbelastungen und Abwassermengen. Das neue Merkblatt der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) M 820 „Qualität von Ingenieurleistungen optimieren“ sieht daher die Aufstellung eines sogenannten Konzeptes für das Gesamtsystem vor.

Bei der Erstellung derartiger Konzepte müssen auch Möglichkeiten untersucht werden, die vielleicht bisher weniger im Fokus der Planer standen. So sollte im ländlichen Raum, der deutlich stärker vom Bevölkerungsrückgang betroffen ist als große Städte und Ballungszentren, die flächendeckende dezentrale Abwasserentsorgung in Kleinkläranlagen als ein Mittel der Wahl stärker Berücksichtigung finden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Unsicherheiten bezüglich der demografischen Entwicklung bestehen. Nach Ende des im Verhältnis kurzen Lebenszyklus dieser Kleinkläranlagen (15 bis 20 Jahre) können in solchen Fällen für das abwassertechnische Gesamtsystem neue Überlegungen angestellt werden. Somit müssen bei wesentlichen Abweichungen von den ursprünglichen Prognosen langlebige Investitionsgüter wie Kanalnetze und zentrale Kläranlagen nicht vorzeitig und damit kostenintensiv aufgegeben oder umgebaut werden.

Verantwortung für das Gesamtsystem

Allerdings muss hier ein grundsätzliches Umdenken bezüglich der formaljuristischen Zuständigkeit für Kleinkläranlagen stattfinden. In Bau, Betrieb bei der Qualitätssicherung können Kleinkläranlagen nur dann eine gleichwertige Position zu zentralen Systemen gewinnen, wenn die Verantwortung in Händen des Abwasserentsorgers für das Gesamtsystem liegt und nicht in den Händen einzelner Grundstückseigentümer.

Eine weitere – eigentlich sehr alte – Forderung zur Reaktion auf den demografischen Wandel, ist die Abkehr von der sogenannten Kirchturmpolitik. Wenn von zwei benachbarten Kommunen die eine wächst und die andere schrumpft, zum Beispiel durch Umsiedlung von Unternehmen, sollte nicht die eventuekll zu große Abwasseranlage mit Unterlast weiterbetrieben und die kleine erweitert werden. Die Konzeptentwicklung muss sich dann mindestens auf das Abwassersystem beider Kommunen gemeinsam beziehen.

Insbesondere Städte und Ballungsgebiete mit hohen Wachstumsprognosen haben ganz andere Probleme bei der Abwasserentsorgung. Hier besteht oftmals ein großer Erweiterungsbedarf sowohl im Kanal- und Regenbeckennetz als auch auf den Kläranlagen. Eine einfache bauliche Erweiterung von Anlagen ist aus Platzmangel vielfach nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Daher sind hier neue Wege gefragt.

Optimierung geht vor Erweiterung

Zuerst sollten konzeptuell alle betrieblichen Optimierungsmöglichkeiten ermittelt werden. Das kann zum Beispiel in Form von Anlagensimulationen geschehen. Sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend, sollten im nächsten Schritt Optimierungsmöglichkeiten in der Verfahrenstechnik gesucht werden. So kann etwa durch eine meist mit geringem baulichen Aufwand umsetzbare Umstellung der Belebung vom Parallelbetrieb auf eine Denitrifikationskaskade die Anlagenkapazität um bis zu 15 Prozent gesteigert werden.

Sind dennoch Erweiterungen nötig, kann als platzsparende Möglichkeit der Bau eines sogenannten Doppelstockbeckens sinnvoll sein. Dabei wird das Nachklärbecken über dem Belebungsbecken angeordnet. Neben der raumsparenden Anordnung können durch diese Lösung Lärm- und Geruchsemissionen vermieden werden. Bei allen Maßnahmen sollte unbedingt auch die Frage beantwortet werden, welche Entwicklungsoptionen die Kläranlage bei weiter steigender Belastung hätte.

Wie eine notwendige Erweiterung im Zusammenwirken von Kanalnetz und Kläranlagen auf das minimal Notwendige begrenzt werden kann, zeigt das Beispiel Berlin. Die Stadt wächst bis zum Jahr 2030 im Mittel um 7,5 Prozent mit Unterschieden zwischen den Stadteilen von null bis 30 Prozent Wachstum. Daher müssen zwar die Klärwerke erweitert werden, allerdings wird der Erweiterungsbedarf durch eine geplante Gesamtbewirtschaftung des Systems aller Kläranlagen deutlich optimiert werden. Pumpwerke und Kanalnetze werden stellenweise so umgestaltet, dass sie je nach Entwicklung und Belastungssituation Abwasser in unterschiedliche Kanalnetze und damit unterschiedliche Klärwerke leiten können.

Markus Schröder

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder ist Geschäftsführer der auf die Abwasser- und Energiewirtschaft spezialisierten Ingenieurgesellschaft Tuttahs & Meyer in Aachen

Info: Vierte Reinigungsstufe

Bei der Diskussion über die Auswirklungen der demografischen Entwicklung auf die Abwasseranlagen wird oft die Frage gestellt, ob durch die Überalterung der Bevölkerung ein erhöhter Handlungsbedarf bei den Kläranlagen besteht – Stichwort „Vierte Reinigungsstufe“. Auch wenn in einer älter werdenden Bevölkerung sicherlich von einer Erhöhung des Arzneimittelkonsums auszugehen ist, wird dieser Effekt nicht der wesentliche Grund für den Bau einer vierten Reinigungsstufe sein. Hier wird der laufende Stakeholder-Dialog „Spurenstoffstrategie des Bundes“ hoffentlich Klarheit für die Betreiber von Abwasseranlagen bringen. In einer ersten Phase dieses Prozesses wurden bis Juni 2017 zusammen mit den Stakeholdern Empfehlungen an die Politik erarbeitet, in einer nachfolgenden Phase sollen die Inhalte der ersten Phase weiter konkretisiert werden.