Niederschlagsmanagement nach Vorbild eines Schwamms

Extremwetter fordert die kommunale Wasserwirtschaft heraus. Um das Kanalnetz zu entlasten und Gewässer zu schützen, sollten Niederschläge so weit wie möglich vor Ort belassen werden. Die daraus resultierende dezentrale Regenwasser­bewirtschaftung bewährt sich, wie der Blick nach Berlin zeigt.

Die Dürre der Jahre 2018 und 2019 hat nicht nur in der Land- und Forstwirtschaft zu erheblichen Schäden geführt. Auch in den Städten waren die Folgen an Stadtbäumen und Kleingewässern deutlich sichtbar. In weiten Teilen Deutschlands waren kleine Weiher und Fließgewässer gegen Ende des Sommers ausgetrocknet – mit erheblichen Folgen für die gewässergebundene Flora und Fauna.

Andererseits sind auch die Starkregenereignisse der letzten Jahre noch gut in Erinnerung. In Berlin fielen beispielsweise am 29. Juni 2017 innerhalb weniger Stunden in Teilen der Stadt bis zu 200 Millimeter Niederschlag. Die Folge waren überschwemmte Straßen und vollgelaufene Keller mit teils großen Sachschäden. Auch im Sommer 2019 waren wieder viele Städte in Deutschland von Überflutungen durch Starkregenereignisse betroffen.

Die Klimaprognosen für Deutschland lassen erwarten, dass beide Arten von Extremereignissen – Trockenperioden und Starkregen – zukünftig verstärkt und häufiger auftreten werden. Beide Effekte sind neue Herausforderungen für die Wasserwirtschaft, vor allem in Großstädten und Ballungsräumen.

Verdunstung in der Stadt erhöhen

Eine logische Konsequenz besteht darin, Niederschläge so weitgehend wie möglich vor Ort zu belassen und dem natürlichen Wasserhaushalt zuzuführen. Die Erhöhung der Verdunstung in Städten stellt dabei eine neue Zielsetzung für die Siedlungswasserwirtschaft dar. Die bisherige, vorrangig praktizierte Ableitung von Regenwasser würde dagegen die Effekte zusätzlich verschärfen und kann keine sinnvolle Antwort auf die Problematik sein.

Nicht nur in Deutschland, auch international ist in den letzten Jahren ein anderer Umgang mit Regenwasser in Siedlungsgebieten zu beobachten. Während früher die „schnellstmögliche“ Ableitung über Kanalisationen im Vordergrund stand, wird heute zunehmend dezentrale Bewirtschaftung des Regenwassers angestrebt.

Für die Bewirtschaftung der Regenabflüsse vor Ort stehen verschiedene technische Möglichkeiten zur Verfügung. Zum Beispiel können durch begrünte Dächer, versickerungsfähige Pflasterbeläge oder Regenwassernutzungsanlagen die Niederschlagsabflüsse schon bei der Entstehung reduziert werden. Nicht vermeidbare Abflüsse werden durch Versickerungsanlagen dem Untergrund und damit dem lokalen Wasserhaushalt wieder zugeführt. Ist der Untergrund nicht ausreichend versickerungsfähig, kommen Rückhaltesysteme wie sogenannte Rigolen oder Mulden-Rigolen-Systeme zum Einsatz.

Das Konzept der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung steht nicht für ein einzelnes Verfahren, sondern für eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen, die entsprechend den örtlichen Bedingungen und Anforderungen ausgewählt und kombiniert werden. Neben der Reduzierung der Abflüsse geht es dabei auch um die Reinigung (insbesondere von Straßenabflüssen), die Verbesserung des Stadtklimas durch eine Erhöhung der Verdunstung sowie positive Effekte für die Biodiversität und die Aufenthaltsqualität im Freiraum.

Paradigmenwechsel in der Siedlungsentwässerung

Hauptgrund für diesen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Regenwasser ist aber die Reduzierung der Belastung unserer Gewässer. Die früher praktizierte weitgehende Ableitung von Niederschlagsabflüssen über Trenn- oder Mischsysteme hat zu unübersehbaren Problemen geführt. Zum einen werden durch technisch nicht beherrschbare Überläufe der Mischwasserkanalisation und durch die direkte Einleitung unbehandelter Niederschlagsabflüsse erheblichen Mengen an Schadstoffe in die Gewässer eingetragen. So kommt es in Berlin nach Regenfällen immer wieder zu Fischsterben in der Spree oder dem Landwehrkanal.

Zum anderen führt die schnelle Ableitung zu einer Verschärfung der Abflüsse bei Starkniederschlägen – bei gleichzeitiger Verringerung der Wasserstände in Trockenzeiten. In Berlin beispielsweise ist dieser Effekt vor allem an den kleineren Gewässern wie der Panke oder der Wuhle sowie an vielen Teichen und Pfuhlen zu beobachten. Im Frühsommer 2017 und auch 2018 waren zahlreiche Gewässer in Berlin ausgetrocknet. Und dass es dann bei starken Niederschlägen zu Problemen kommt, haben die Ereignisse im vergangenen Sommer nur zu deutlich gezeigt.

Mit der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung werden Gewässerbelastungen dagegen auf ein Minimum reduziert. Abflüsse werden reduziert, zurückgehalten und gereinigt. Der in China gebräuchliche Begriff „Sponge-City“ beschreibt den Ansatz anschaulich. Wie ein Schwamm wird das Regenwasser bei Starkregen in den Städten gespeichert und dann in der nachfolgenden Trockenzeit langsam an die Umgebung abgegeben. Dies begünstigt eine erhöhte Verdunstung, was wiederum zur Kühlung der Innenstädte beiträgt und damit einen Beitrag zur Klimafolgenanpassung liefert.

In Berlin gibt es mittlerweile zahlreiche Regenwasserbewirtschaftungsanlagen. Bereits vor über 20 Jahren wurde in den großen Entwicklungsgebieten der Stadt wie der Rummelsburger Bucht und Adlershof eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung praktiziert. Viele Gebäude verfügen hier über Gründächer und Versickerungsanlagen. Auf Regenwasserkanäle in den Straßen wurde verzichtet, stattdessen finden sich Versickerungsmulden und Mulden-Rigolen-Systeme. Auch auf zahlreichen Berliner Privat- und Gewerbegrundstücken wird Regenwasser vor Ort bewirtschaftet. Die Einsparung der Regenwassergebühr (bzw. des Niederschlagswasserentgeltes, wie es in Berlin heißt) ist dabei ein guter Anreiz.

Berlin macht gute Erfahrungen

Die Erfahrungen mit dezentralen Systemen sind in Berlin durchweg positiv. Selbst bei den Extremniederschlägen Ende Juni 2017 haben die Anlagen beispielsweise in Adlershof sehr gut funktioniert. Eine wissenschaftliche Analyse älterer Versickerungsanlagen (Projekt LEIREV) hat bestätigt, dass die Funktionsfähigkeit auch nach vielen Jahren noch gegeben ist.

Die guten Erfahrungen mit unzähligen gebauten Anlagen in Deutschland haben dazu geführt, dass die Technologien der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung wie beispielsweise Versickerungsanlagen, Mulden-Rigolen-Systeme, Dachbegrünung oder Regenwassernutzungsanlagen heute als Stand der Technik angesehen werden. Entsprechende technische Regelwerke und Normen für Planung, Bau und Betrieb stehen zur Verfügung. Auch die gesetzlichen Grundlagen wurden geschaffen. Seit 2000 gibt das bundesweit geltende Wasserhaushaltsgesetz vor, Niederschlagsabflüsse möglichst zu versickern.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat im Juli 2017 beschlossen, die „dezentrale Regenwasserbewirtschaftung als wirksamen Teil der Klimafolgenanpassung“ weiter voranzubringen. Der Beschluss sieht unter anderem vor, die Gebäude- und Grundstücksflächen, von denen Regenwasser direkt in die Mischwasserkanalisation eingeleitet wird, jährlich um 1 Prozent zu reduzieren („abzukoppeln“) und neue Wohnquartiere bereits in der Planung an einem dezentralen Regenwassermanagement auszurichten. Mit diesem Beschluss hat das Abgeordnetenhaus noch einmal bekräftigt, dass der internationale Trend „weg von der schnellen Ableitung – hin zur Bewirtschaftung vor Ort“ auch für Berlin der richtige Weg ist. Insbesondere in schnell wachsenden Städten wie Berlin gibt es dazu keine vernünftige Alternative.

Heiko Sieker

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Heiko Sieker ist Geschäftsführer der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker in Hoppegarten und Honorarprofessor für Urbane Hydrologie an der TU Berlin