Mit Herz und Verstand

Frauen sind in Führungspositionen der Kommunalpolitik immer noch rar. Zu den Ausnahmen gehört Dietlind Tiemann. Die 59-Jährige steht seit 2003 an der Spitze der Kommunalverwaltung von Brandenburg an der Havel. Sie hat den Strukturwandel vorangetrieben und steuert die Stadt in eine gute Zukunft.

Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird derzeit von einer Frau geführt. Während in der Bundes- und Landespolitik der Anteil von Frauen sowohl in den Parlamenten als auch in den Führungs- und Entscheidungspositionen bei immerhin rund einem Drittel liegt, hat die Kommunalpolitik erheblichen Nachholbedarf. Rar sind sie also, was aber nicht heißt, dass sie nicht erfolgreich wären.

Petra Roth, viele Jahre an der Spitze der Stadt Frankfurt am Main und an der des Deutschen Städtetages, fällt einem sofort ein, wenn man nach Oberbürgermeisterinnen sucht, die im Kommunalen Entscheidendes bewegt und sich hohe Anerkennung erworben haben. Oder Helma Orosz, erste Frau an der Spitze Dresdens in dessen 800-jähriger Geschichte. Sie, die Ende Februar aus gesundheitlichen Gründen ihr Amt als Oberbürgermeisterin niederlegt, prägte in den letzten Jahren die sächsische Landeshauptstadt in besonderem Maße.

Von der bundesweiten Medienöffentlichkeit weniger beachtet sind es aber auch Bürgermeisterinnen kleiner und mittlerer Kommunen, die hervorragende Arbeit leisten. So beispielsweise Eva Söllner aus dem hessischen Liederbach, deren Leistungen die Bürger an der Wahlurne auch dann honorieren, wenn es mangels Gegenkandidaten eigentlich gar keine Wahl gibt.

Zur Person

Dr. Dietlind Tiemann (Jg. 1955, verheiratet, 1 Sohn), ist seit 2003 Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel (Brandenburg). Die Wirtschaftswissenschaftlerin verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Baubranche, von 1994 bis 2003 war sie geschäftsführende Gesellschafterin im eigenen Bauunternehmen.

Doch sie bleiben Ausnahmeerscheinungen. Zu der seltenen Spezies weiblicher Rathausspitzen gehört Dietlind Tiemann. Die 59-jährige promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin bestimmt seit 2003 an der Spitze der Kommunalverwaltung über die Geschicke der Stadt Brandenburg an der Havel. Dies mit Erfolg und Weitblick – letzteres nicht nur hinsichtlich der Entwicklung ihrer eigenen Stadt, sondern auch in Bezug auf die Frage, wie es mit der kommunalen Selbstverwaltung im Land Brandenburg künftig weitergehen soll.

Dietlind Tiemann macht aber auch vor, dass sich Frauen im klassisch männerdominierten Politikbetrieb ernsthaft behaupten können. Einfach ist das nicht, weil es den Frauen an Vorbildern für den Job im Rathaus fehlt und weil in ihren Lebenskonzepten das politische und berufliche Ziel „Bürgermeister“ nicht in dem Maße wie bei Männern verankert ist.

Frauen bringen wichtige Impulse ein

Wer wie die Autorinnen der unlängst vorgelegten Studie „Frauen führen Kommunen – Eine Untersuchung zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Ost und West“ die Trommel für mehr Frauen in der Kommunalpolitik rührt, sieht sich stets einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Warum das Plädoyer für die Steigerung des Frauenanteils in den Rathäusern? Frauen sind mit Sicherheit nicht per se die besseren Politiker. Allerdings können sie aufgrund ihrer Orientierung auf mehrere Lebensbereiche und aufgrund unterschiedlicher Lebenserfahrungen wichtige Impulse und Sichtweisen in die Kommunalpolitik einbringen. Das kann dazu beitragen, die Qualität von Entscheidungen zu verbessern.

Bei Dietlind Tiemann kommt hinzu, dass sie ab 1994 acht Jahre als Unternehmerin tätig war – ein Lebensabschnitt, der sie das konsequente Verfolgen gesetzter Ziele, das kluge Vorbereiten von Entscheidungen, geschicktes Verhandeln sowie das Führen von Menschen lehrte. Für ihren Start in die Kommunalpolitik bedeutete das einen wichtigen Vorteil. Ihre Partei, die CDU, fackelte jedenfalls nicht lange, als es 2002 galt, einen eigenen Kandidaten ins Rennen um den vakanten OB-Posten in Brandenburg an der Havel zu schicken. Tiemann siegte zwar nicht gleich im ersten Anlauf, aber beim ein Jahr später notwendigen erneuten kommunalpolitischen Urnengang schlug sie dann sechs Mitbewerber aus dem Feld.

Ihre Kür als erste Frau an der Stadtspitze, dazu noch aus dem Unionslager, war eine Sensation in Brandenburg an der Havel, undenkbar bis dahin im verkrusteten politischen Machtgefüge des Oberzentrums. Bei der OB-Wahl 2011 siegte Tiemann im ersten Wahlgang erneut souverän in allen Wahlkreisen der Stadt vor den Kandidaten von SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenpartei Deutschland. Sicher kam ihr dabei auch zugute, dass das im Westen eher festgefügte Rollenverständnis Mann – Frau in den östlichen Bundesländern vielfach hinterfragt wird. Ihre zweite Amtszeit läuft bis 2019.

Unverstellter Blick auf kommunale Themen

Der Quereinstieg sicherte ihr einen unverstellten, frischen Blick auf zentrale kommunale Themen. Dem und natürlich ihrer Herkunft aus der freien Wirtschaft ist wohl der offene und unkomplizierte Umgang mit der lokalen Unternehmerschaft zuzuschreiben, den Dietlind Tieman pflegt. Ein Pfund, mit dem sie wuchern kann bei der herausfordernden Aufgabe der Zukunftssicherung Brandenburgs in schwieriger Zeit. Wenn Haushaltsengpässe und eklatante Verschuldung die politischen Handlungsspielräume einschränken und der demografische Wandel unpopuläre Entscheidungen erfordern, es tut gut genau zu wissen, wie es um die wirtschaftliche Basis der Kommune steht und wie die Unternehmer über die Stadtpolitik denken.

Große Herausforderungen hätten sie schon immer angespornt, sagt Dietlind Tiemann über sich selbst. Das galt für ihre OB-Kandidaturen gegen Männerriegen und für den Umbau der einst wirtschaftlich darbenden und bevölkerungsmäßig ausblutenden Stadt. Es gilt weiterhin für den von ihr angeführten Kampf gegen die Pläne der rot-roten Landesregierung, mit Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder) drei der vier kreisfreien Städte im Land (die vierte ist die Landeshauptstadt Potsdam) mit umliegenden Landkreisen zusammenzulegen.

Fragt man Bürgermeisterinnen, was sie nach ihrer eigenen Einschätzung besonders qualifiziert zur Führung, ist – so weist die bereits erwähnte Studie aus – zu hören, sie seien die „besseren Chefs“, agierten kommunikativer und diplomatischer und würden Integrationsleistungen vollbringen. Ob Klischee, nämlich das vom angeblich wirkungsvolleren „weiblichen Führungsstil“ oder nicht, auch Dietlind Tiemann ist überzeugt, dass es diese ganz eigene weibliche Power gibt. „Wir Frauen“, sagt sie, „können besonders schwierige Situationen besser meistern.

Frauen bekommen für Problemlagen viel schneller ein Gefühl als Männer und wissen eher, wie man damit umzugehen hat.“ Sie wolle immer wissen, um was es geht, sagt sie, und wendet das als Prinzip gerade bei schwierigen Entscheidungen an. Beispielsweise notwendige Schließungen von Schulen oder Kitas als Folge des Rückgangs der Schüler- beziehungsweise Kinderzahlen: Sie muss selbst davon überzeugt sein, dass solche Maßnahmen unumgänglich sind, holt lieber noch einmal Rat ein, bevor vorschnelle und am Ende falsche Beschlüsse gefasst werden.

Erst nach einem solchen kritischen Abwägungsprozess, der die persönliche Betroffenheit von Bürgern genauso sieht wie das Wohl der Stadt insgesamt, mag sie auch unpopulären Vorschlägen ihr Plazet geben. Wo möglich, versucht sie dabei stets die positiven Wirkungen der „bitteren Pillen“ klarzumachen. Schulschließungen aus demografischen Gründen zum Beispiel bedeuteten ja auch, dass Mittel frei werden für zukunftssichernde Investitionen. „Mit Herz und Verstand“ nennt Dietlind Tiemann das, ihr Slogan damals auch im Wahlkampf 2003.

Die Stadt hat sich gut entwickelt

Tiemann gilt als Macherin, die viel von sich verlangt und auch von ihren Mitarbeitern. Sie führt über das Vorbild, gibt Freiräume. Das sei wichtig, wenn man die Gestaltungsmöglichkeiten erweitern wolle. So ließen sich die kreativen Kompetenzen und Potenziale, die es in der Belegschaft gebe, besser nutzen. „Gemeinsam haben wir die Dinge in die Hand genommen und die Stadt auf Vordermann gebracht.“ Trotz schwieriger Haushaltslage und erschwerten Rahmenbedingungen stemmte man unter ihrer Führung in Brandenburg an der Havel den Strukturwandel, baute den einst von der Stahlerzeugung und -verarbeitung beherrschten Standort um zum modernen, industriell geprägtem Oberzentrum mit leistungsfähigen Mittelstand und breit aufgestelltem Dienstleistungssektor, insbesondere im Bereich der Gesundheitswirtschaft.

Die hohe Arbeitslosenquote von 20 Prozent nach der Wende wurde halbiert, der Wegzug der Menschen gestoppt. Die Verwaltung mit ihren insgesamt rund 1000 Beschäftigten ist heute ein effizienter Dienstleister, die Haushaltskonsolidierung ist auf gutem Weg, die Sparbemühungen zeigen Erfolge. 2016 will man einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, ein Ziel ganz oben auf der Agenda von Dietlind Tiemann.

Deutlich sichtbar zeigt sich der Wandel hin zum Positiven an der Rettung und Sanierung historischer Bausubstanz in großem Stil. Brandenburg ist heute beliebtes Ausflugsziel mit stetig steigenden Besucher- und Übernachtungszahlen, nicht zuletzt auch geschuldet der Profilierung der Stadt als Austragungsort großer internationaler Sportveranstaltungen. Auf der Naturregattastrecke „Beetzsee“ werden Welt- und Europameisterschaften der Ruderer und Kanuten ausgetragen. „Sahnehäubchen“ auf Tiemanns Erfolgen der letzten Jahre ist die erfolgreiche Bewerbung der Stadt als ein Standort der ersten dezentralen und länderübergreifenden Bundesgartenschau. „Hier wird ein neues Kapitel aufgeschlagen“, sagt Dietlind Tiemann.

Wolfram Markus

Info: Brandenburg an der Havel

Einwohner: rd. 71.000
Haushaltsvolumen: 230 Mio. Euro
Gewerbesteuerhebesätze: 400 v. H.
Gewerbesteuereinnahmen: 18 Mio. Euro
Gesamtverschuldung: 217 Mio. Euro
Kassenkredite: 170 Mio. Euro
Pro-Kopf-Verschuldung: 3000 Euro
Investitionen: 16 Mio. Euro (pro Jahr)