Kinder lernen spielend

Das Erlernen und Erleben der deutschen Sprache befördert die Integration. Die Stiftung Lesen hat deshalb ein Programm gestartet, das geflüchtete Kinder unterstützt durch Lesen, Vorlesen und Geschichten erzählen.

 

Für Flüchtlingsfamilien mit Vorschul- und Schulkindern sind Lesen, Vorlesen, das Erzählen von Geschichten und das Erleben der deutschen Sprache wichtige Hilfestellungen zur Integration und Orientierung in unserem Land. Um sich in Deutschland zurechtzufinden und erfolgreich am hiesigen Bildungssystem teilzunehmen, ist das rasche Erlernen unserer Sprache gerade für Kinder aus Flüchtlingsfamilien mit Bleibeperspektive der entscheidende Schlüssel. In den ersten Jahren der kindlichen Entwicklung werden die Grundlagen für den späteren Bildungsweg gelegt.

Die Stiftung Lesen startete deshalb im Dezember 2015 das bundesweite Programm „Lesestart für Flüchtlingskinder“, um frühzeitig einen Impuls für die Integration der neu ankommenden Familien zu setzen. Das dreijährige Programm wird im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Mit kostenfreien Büchern, Spielen und Qualifizierungsangeboten für Mitarbeiter sollen spielerische Zugänge zur deutschen Sprache geschaffen und die Leseförderarbeit mit geflüchteten Kindern qualitativ unterstützt werden.

Hilfreiche Tipps rund ums Lesen und Vorlesen

Ausgangspunkt sind die Landesaufnahmeeinrichtungen: Sie sind der erste Zufluchtsort für die geflüchteten Familien und Partner des Leseförderprogramms. Vorbild ist das Programm „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“, das Familien mit kleinen Kindern mit altersgerechten Büchern und praxisnahen Vorlesetipps versorgt. Bis März 2017 konnten so rund 95 Prozent aller Landeserstaufnahmeeinrichtungen (EAE) ins Programm aufgenommen werden.

Wie eine Studie von UNESCO und UN-Flüchtlingswerk UNHCR zeigt, besuchen weltweit nur 50 Prozent der geflüchteten Kinder im Grundschulalter und 25 Prozent im Sekundarschulalter eine Schule. Rund ein Drittel aller geflüchteten Menschen sind zwischen 0 bis 16 Jahre alt, so eine Unicef-Studie aus dem Jahr 2014. Fast die Hälfte (45 %) hiervon, sind Kinder im Vorschulalter.

Insgesamt kamen laut Bundesinnenministerium insgesamt 890.000 im Jahr 2015 nach Deutschland. Darunter waren bis zu 120.000 Kinder unter 6 Jahren, so Schätzungen. Schon ein Jahr später nahm die Zahl deutlich ab. Das Bundesinnenministerium beziffert die Zahl der Asylsuchenden in 2016 auf 280.000. Somit stellt die Integration der geflüchteten und zugewanderten Familien in unser Bildungssystem und unsere Gesellschaft eine wichtige bildungspolitische Aufgabe dar.

„Lesestart für Flüchtlingskinder“ setzt auf mehreren Ebenen an und beinhaltet fünf verschiedene Bausteine, die die professionelle Arbeit in den EAE-Spielstuben um das Thema Erzählen und Vorlesen erweitert. In den Landeserstaufnahmestellen erhalten alle Familien mit Kindern im Alter bis zu 5 Jahren ein Lesestart-Set, bestehend aus einer kleinen Stofftasche mit einem Wort-Bilderbuch und einem begleitenden Flyer mit Tipps zum Lesen und Vorlesen. Dieser Flyer steht online in 14 Sprachen zur Verfügung.

Viele Erstaufnahmeeinrichtungen bieten Familien und Kindern Spielstuben mit regelmäßigen pädagogischen Angeboten. Die Stiftung Lesen stellt jeder Erstaufnahmeeinrichtung eine Lese- und Medienbox für Kinder von 0 bis 12 Jahren zur Verfügung. Darin findet sich eine Auswahl von rund 45 altersgemischten Büchern und niedrigschwelligen Spielen, die spielerische Zugänge der Sprachförderung ermöglichen.

Im Rahmen des Leseförderprogramms werden sowohl hauptamtliche Mitarbeiter der Erstaufnahmen wie ehrenamtliche Lesepaten in Seminaren geschult, um das Thema Erzählen und Vorlesen in der Kinderbetreuung umsetzen zu können. Um den Kindern die deutsche Umgebungssprache näherzubringen, sollen regelmäßige Vorlese- und Erzählangebote ein strukturiertes Setting im Rahmen der Kinderbetreuung schaffen.

Hierfür wurden eigens Seminare konzipiert. Unter dem Thema „Vorlesen und Erzählen mit geflüchteten Kindern“ werden die Teilnehmer über den Stellenwert des Vorlesens und Erzählens aufgeklärt und erhalten Anleitungen zum Einsatz der Lese- und Medienbox in der Spielstube. Darüber hinaus werden sie für den Umgang mit geflüchteten Kindern sensibilisiert.

Mit Medienbox spielerisch Zugang zur Sprache finden

Viele Einrichtungen arbeiten bereits mit lokalen Vorleseinitiativen oder anderen kommunalen Partnern wie zum Beispiel Bibliotheken zusammen. Die Stiftung Lesen nimmt außerdem Kontakt zu lokalen Ehrenamtsinitiativen auf, wenn es einen zusätzlichen Bedarf an ehrenamtlichen Lesepaten gibt. Durch diese Unterstützung bei der Vernetzungsarbeit werden die Erstaufnahmeeinrichtungen entlastet, andererseits kommen neue Kontakte über die Einrichtung hinaus zustande, von denen neben den Kindern und Familien auch lokale Initiativen wie Vereine, Bibliotheken und Schulen profitieren können. Nicht nur in großen Städten wie Hamburg, Leipzig oder Berlin, sondern auch im ländlichen Gebiet konnten so erfolgreich Netzwerke der Leseförderung etabliert werden. Beispiele sind hier unter anderem BildungsSache in Köln oder LeseLust Leipzig.

Im Herbst 2016 veranstaltete die Stiftung Lesen bundesweit fünf Fachtage an verschiedenen Standorten unter dem Titel „Lesen bringt uns weiter“. Sie dienten dem fachlichen Input und als Plattform für den Austausch und der Vernetzung von Mitarbeitern der Erstaufnahmeeinrichtungen sowie Akteuren der Flüchtlingsarbeit aus den jeweiligen Regionen. Neben Fachvorträgen standen Workshops zu verschiedenen Aspekten der Leseförderung für Flüchtlingskinder im Mittelpunkt. Aufgrund der hohen Resonanz werden im Herbst 2017 vier weitere Fachtage durchgeführt.

Über das Programm „Lesestart für Flüchtlingskinder“ hinaus haben viele Schulen und Bibliotheken unter anderem am bundesweiten Vorlesetag Aktionen auf die Beine gestellt, die geflüchtete Kinder mit deutschen Kindern in Kontakt gebracht haben, um gemeinsam zu lesen und vorzulesen. Auch beim Welttag des Buches 2016 und 2017 wurden insbesondere Kinder mit geringen Deutschkenntnissen bedacht: Das Buch, welches Schüler alljährlich geschenkt bekommen, enthielt auch eine Graphic Novel, die mit starken Illustrationen und kurzen Texten einen leichtverständlichen Einstieg in die deutsche Sprache bietet. Vor allem Willkommensklassen und Bibliotheken nutzen diese Möglichkeit, um geflüchtete Kinder und deren Eltern auf eigene Angebote aufmerksam zu machen.

Jörg F. Maas / Melitta Göres

Die Autoren
Dr. Jörg F. Maas ist Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen mit Sitz in Mainz, Melitta Göres ist Projektleiterin „Lesestart für Flüchtlingskinder“ der Stiftung Lesen.

Info: Die Stiftung Lesen veranstaltet im Herbst 2017 vier Fachtage an verschiedenen Orten unter dem Titel „Lesen bringt uns weiter“. Diese bieten Mitarbeitern von Erstaufnahmeeinrichtungen sowie Akteuren der Flüchtlingsarbeit fachliche Informationen sowie Gelegenheit zum Austausch.