Gefahr und Rettung

Immer wieder stellen Privatunternehmen kommunale Verkehrsangebote grundsätzlich infrage. Der Hebel, den sie hierbei ansetzen, ist ein rechtlicher Angriff auf die Direktvergabe von ÖPNV-Leistungen. Dieser zweiteilige Beitrag schildert die Hintergründe sowie den aktuellen Fall der Stadtwerke Augsburg.

Seit mehr als 100 Jahren haben Kommunen, vor allem die Städte, mit eigener Leistung und ihren eigenen Betrieben ein hochwertiges Angebot öffentlicher Verkehrsleistungen aufgebaut. Dieses ist spätestens seit den 1920er-Jahren unverzichtbar geworden und wird in Zeiten steigender Umweltschutzanforderungen an Bedeutung stetig zunehmen. Das schafft sichere, langfristig tragfähige Märkte, die meist mit öffentlichen Geldern gestützt werden und auch für das private Omnibusgewerbe interessant geworden sind.

Deshalb beobachtet man verstärkt seit Anfang 2015 Angriffe von Bahnbusgesellschaften und privaten Busunternehmern auf bisher rein kommunal verantwortete Verkehrsstrukturen. Im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen derzeit eigenwirtschaftliche Konzessionsanträge. Eigenwirtschaftliche Verkehrsangebote, die ohne unternehmensspezifische öffentliche Zuschüsse auskommen, sind kraft Personenbeförderungsgesetzes (§ 8 Abs. 4 S. 1 PBefG) vorrangig zu genehmigen und schließen das kommunale Angebot, das auf Zuschüsse des Aufgabenträgers angewiesen ist, aus. Verkehrsunternehmen, die bei der Entlohnung ihres Personals nicht an die Spartentarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden sind, kommen in vielen Fällen tatsächlich mit den im Rahmen der Eigenwirtschaftlichkeit zulässigen Erlösquellen (vgl. § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG) aus.

Kommunalen Verkehrsunternehmen droht Ungemach

Beispiele für kommunale Anbieter, die auf diese Weise aus dem Markt gedrängt wurden oder derzeit massiv bedroht sind, kann man fast täglich der Fachpresse entnehmen: Pforzheim, Hildesheim oder jüngst der eigenwirtschaftliche Konkurrenzantrag des Busunternehmens Wiedenhoff für das gesamte Streckennetz der Kraftverkehr Wupper-Sieg (WUPSI) in Leverkusen und dem Rheinisch-Bergischen Kreis.

Aber nicht nur von Seiten eigenwirtschaftlich auftretender Konkurrenten, die behaupten, ihre Aufwendungen allein aus Fahrgeldeinnahmen und dem staatlichen Ausgleich für Ausbildungsverkehre decken zu können, droht den kommunalen Verkehrsunternehmen Ungemach. Auch auf Linien, die unbestreitbar defizitär sind und öffentlich bezuschusst werden müssen, sind die Verkehrsbetriebe der eigenen Stadtwerke in Gefahr. Leistungsaufträge, die in wesentlichem Umfang öffentlich gefördert werden, sind für das private Omnibusgewerbe sogar besonders interessant.

Der Hebel, den private Wettbewerber bei solchen gemeinwirtschaftlichen Verkehren ansetzen, ist ein vergaberechtlicher Angriff auf die Direktbeauftragung des eigenen Stadtwerke-Unternehmens durch die Aufgabenträger-Kommune. Öffentliche Dienstleistungsaufträge zur gemeinwirtschaftlichen Erbringung von Verkehrsleistungen, so wird argumentiert, dürfe eine Kommune auch ihrem eigenen Verkehrsunternehmen nicht ohne Ausschreibung zuwenden. Vielmehr sei dafür ein wettbewerbliches Verfahren nach den Vergaberichtlinien oder nach dem Personenbeförderungsgesetz (§ 8b PBefG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1370/2007) durchzuführen. Dafür sei der gesamte Auftrag in mittelstandsfreundliche Lose aufzuteilen, und im Wettbewerb um diese Lose erhoffen sich privatwirtschaftliche Anbieter bessere Chancen als die angestammten öffentlichen Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).

Im Fall „WUPSI“ sind die Stadt Leverkusen und der Rheinisch-Bergische Kreis neben dem eigenwirtschaftlichen Konkurrenzantrag von Wiedenhoff auch einem solchen Angriff ausgesetzt. Das Verkehrsunternehmen Hüttebräucker hat gegen die Direktvergabe des Busliniennetzes an die Kraftverkehr Wupper-Sieg einen Vergabenachprüfungsantrag gestellt, der von der Vergabekammer Köln zurückgewiesen wurde (Entscheidung vom 3. Mai 2016). Dagegen hat Hüttebräucker wiederum sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Köln eingelegt. Das private Omnibusgewerbe meint es also offenbar ernst mit seinem Anspruch auf die angestammten kommunalen Verkehre und sucht in diesem Bereich Grundsatzentscheidungen.

Fall der Stadtwerke Augsburg vor Gericht

So war es auch im Fall der Stadtwerke Augsburg. Nachdem die Stadt Augsburg mit Vorabbekanntmachung vom 2. April 2014 (vgl. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007) angekündigt hatte, öffentliche Dienstleistungsaufträge für etwa die Hälfte der Buslinien im Augsburger Stadtverkehr ihrer eigenen Verkehrsgesellschaft ausschreibungsfrei wiedererteilen zu wollen, hat ein privates Busunternehmen, das bisher nur im Regionalverkehr tätig war, dagegen einen Vergabenachprüfungsantrag gestellt.

Gerügt wurde von der Antragstellerin eine unzulässige „De-facto-Vergabe“ an die Verkehrsgesellschaft der eigenen Stadtwerke (im Sinne von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a. F., seit 18. April 2016 § 135 GWB). Auch in diesem Fall, in dem eine „Inhouse“-Konstellation auf der Hand zu liegen schien, sei nach dem Vortrag des privaten Konkurrenten eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 unzulässig gewesen, denn Direktvergaben von ÖPNV-Aufträgen an interne Betreiber (vgl. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007) seien nach deutschem nationalem Recht generell untersagt, bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen für ÖPNV-Leistungen im Sinne der Vergaberichtlinien sei eine Direktbeauftragung nach den „Inhouse“-Grundsätzen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durch die Existenz des spezielleren Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 ausgeschlossen, die beauftragte Verkehrsgesellschaft sei von der Stadt Augsburg schon deshalb nicht kontrollierbar wie eine eigene Dienststelle, weil es sich um eine Urenkel-Gesellschaft handelt, und in jedem Fall würde die Existenz eines obligatorischen, zu einem Drittel von Arbeitnehmern mitbestimmten Aufsichtsrats die erforderliche Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausschließen.

Die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 7. Oktober 2015 – AZ Z3 3 3194 1 36 05/15) und ihr folgend der Vergabesenat des OLG München (Beschluss vom 31. März 2016 – AZ Verg 14/15) haben allen diesen Grundsatzeinwendungen gegen die Existenz von Direktvergaben im ÖPNV eine Absage erteilt.

Für beide Instanzen stand völlig außer Zweifel, dass das deutsche nationale Recht eine unmittelbare, ausschreibungsfreie Beauftragung kommunaleigener Gesellschaften mit ÖPNV-Leistungen erlaubt, sofern der Auftragnehmer die Voraussetzungen eines internen Betreibers nach Art. 2 lit. j) und Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 erfüllt. Angesichts der ausdrücklichen Anerkennung von Direktvergaben im Personenbeförderungsgesetz (§ 8a Abs. 3 PBefG) war ein solches Ergebnis auch zu erwarten. Gleichwohl hatte die Antragstellerin versucht, diese gesetzliche Regelung wegen Verstoßes gegen die Berufs- und Gewerbefreiheit als verfassungswidrig zu qualifizieren. Damit konnte sie beim OLG München nicht durchdringen. Eindeutige Aussage des Gerichts: „Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8a Abs. 3 PBefG.“ Damit war der Weg frei für die Aufrechterhaltung der Feststellung der Vergabekammer: „Eindeutiger als in § 8a Abs. 3 PBefG kann eine nationale Erlaubnis von Direktvergaben nicht formuliert sein.“

Ebensowenig konnte das Argument überzeugen, Direktvergaben könne es im ÖPNV nur auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 geben. Das gesamte Marktzugangsregime der VO (EG) Nr. 1370/2007 sei aber auf Dienstleistungsaufträge im Sinne der Vergaberichtlinien nicht anwendbar, und in solchen Fällen sei aufgrund des spezialgesetzlichen Ausschließlichkeitsanspruchs von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 auch der Weg in eine Direktbeauftragung nach den allgemeinen „Inhouse“-Grundsätzen des EuGH (heute kodifiziert in Art. 12 Abs. 1 RL 2014/24/EU, ABl. 2014 Nr. L 94/65) versperrt.

Status von Inhouse-Vergaben in der Diskussion

Mit einer Ausnahme haben sämtliche Oberlandesgerichte, die sich mit dieser Frage zu beschäftigen hatten, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 so ausgelegt, dass diese Norm sowohl auf Dienstleistungskonzessionen als auch auf „Inhouse“-Vergaben im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der RL 2014/24/EU Anwendung findet. Letztere sind nämlich gerade keine öffentlichen Dienstleistungsaufträge, die nach den allgemeinen Vergaberichtlinien erteilt werden, sondern eine davon zu trennende Sonderkategorie. Das OLG München hatte diese Feststellung bereits in seiner Entscheidung vom 22. Juni 2011 zum Stadtbusverkehr Lindau (AZ Verg 6/11) getroffen und sich in dem Beschluss vom 31. März 2016 somit selbst bestätigt.

Besondere Bedeutung kommt dann natürlich der Prüfung der internen Betreibereigenschaft des direkt beauftragten Verkehrsunternehmens zu und dort insbesondere der Frage, ob die Kommune als Aufgabenträgerin ihre ÖPNV-Gesellschaft kontrollieren kann wie eine eigene Dienststelle.

Die Antragstellerin hatte behauptet, schon die Existenz eines arbeitnehmer-mitbestimmten Aufsichtsrats, der den aktienrechtlichen Vorschriften unterliege (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, DrittelbG) und nach Paragraf 111 Abs. 6 des Aktiengesetzes (AktG) weisungsfrei agieren müsse, schließe eine solche Kontrollintensität aus. Hätte sich diese Ansicht durchgesetzt, wäre die Direktvergabemöglichkeit in vielen Stadtwerkekonzernen mit größeren Verkehrsgesellschaften (regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer) in Gefahr geraten.

Das Gericht ist dieser augenscheinlich nachvollziehbaren Argumentation jedoch nicht gefolgt und hat die Frage aus einer grundsätzlichen gesellschaftsrechtlichen Perspektive beleuchtet. Entscheidend für das Kontrollkriterium ist nach der EuGH-Rechtsprechung (vgl. EuGH, Rs. C 458/03, Slg. 2005, I 8585 Rn. 65 – „Parking Brixen“), dass der Aufgabenträger sowohl die strategischen Ziele als auch die wesentlichen Managemententscheidungen seines Verkehrsunternehmens ausschlaggebend beeinflussen kann. Solange der Aufgabenträger beherrschender Gesellschafter ist, kann ihn auch ein obligatorischer Aufsichtsrat daran nicht hindern.

Entscheidend ist, so das OLG München, „dass – selbst bei unterstellter Weisungsfreiheit – auch ein obligatorischer Aufsichtsrat (…) lediglich Kontroll- und Zustimmungsfunktionen hat, aber selbst keine wichtigen strategischen Entscheidungen trifft und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung und die Gesellschafterversammlung hat. Maßgebliches übergeordnetes Organ bei einer GmbH mit obligatorischem Aufsichtsrat bleibt vielmehr die Gesellschafterversammlung (…).“ Damit sind Direktvergaben von ÖPNV-Leistungen auch an arbeitnehmer-mitbestimmte GmbHs zulässig – jedenfalls solange dem Aufsichtsrat in der Satzung keine gestaltenden Einflussrechte auf strategische Ziele und wichtige Managemententscheidungen eingeräumt werden.

Muster für die Kommunalwirtschaft

Bei der Prüfung der konkreten Ausgestaltung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags hat das OLG München überdies als bisher einziges Gericht dem vorgefundenen Modell seine vergabe- und europarechtliche Rechtmäßigkeit attestiert: Die in Augsburg implementierte Konstruktion eines „mehrpoligen Dienstleistungsauftrags“, der sich aus den Linienverkehrsgenehmigungen und der kommunalen Beauftragung qua Verwaltungsakt zusammensetzt, wurde vom Vergabesenat ausdrücklich als zweifelsfrei zulässig bezeichnet. Für seine europarechtliche Legitimität spreche schon der Wortlaut der Legaldefinition in Art. 2 lit. i) VO (EG) Nr. 1370/2007, welche auch eine Mehrheit rechtsverbindlicher Akte einschließt. Mit diesem Modell des mehrpoligen Dienstleistungsauftrags lässt sich ferner dem Problem versetzter Laufzeiten von PBefG-Genehmigung und kommunalem Auftrag nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 wirksam begegnen, was grundsätzlich von Paragraf 16 Abs. 2 S. 4 PBefG missbilligt wird.

Insgesamt markiert der Beschluss des OLG München vom 31. März 2016 einen Meilenstein für den Erhalt der kommunalen Verkehrswirtschaft. Die Entscheidung ist rechtskräftig, weil eine Divergenzvorlage zum Bundesgerichtshof abgelehnt wurde. Gegen alle Grundsatzeinwendungen auf verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Ebene hat das Gericht nicht nur die Direktvergabe von ÖPNV-Leistungen in Deutschland legitimiert. Es hat darüber hinaus dem konkreten Beauftragungsmodell ausdrücklich seine vergabe- und europarechtliche Zulässigkeit bescheinigt und damit über den Einzelfall hinaus der Kommunalwirtschaft ein Muster für die rechtssichere Gestaltung von ÖPNV-Direktvergaben an die Hand gegeben.

Christian Jung

Der Autor
Dr. Christian Jung ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Becker, Büttner, Held in Köln