„Der Platz soll zum Verweilen einladen“

In der Pfütze spielen macht Kindern am meisten Spaß. Warum die Gemeinden trotzdem Spielplätze brauchen, erläutert der Designer Günter Beltzig im Interview. Er spricht über Fantasietiere im Wald, ängstliche Eltern und erläutert, worauf bei der Spielplatzgestaltung Wert gelegt werden sollte.

Herr Beltzig, Kinder lernen wohl am besten beim freien Spielen. Die Gesellschaft indes scheint kein großes Vertrauen in diese Funktion des Spiels zu haben, oder wie anders ist zu erklären, dass zwar viel öffentliches Geld zum Beispiel in Betreuung und vorschulische Förderung von Kindern investiert wird, vergleichswenig wenig hingegen in die Schaffung von Spielräumen, die mehr bieten als die Wiederholung vorgegebener Bewegungsabläufe?

Beltzig: Spielen ist die Urform des Lernens. Eigenverantwortung, Spontaneität, Kreativität, Sozialkompetenz, das kann ich sehr schlecht in einem Schulprogramm unterrichten. Wir geben aber gar nicht so viel aus für die Frühförderung unserer Kinder, wenn wir zum Beispiel sehen, was wir für Straßen ausgeben. In den Gemeinden wird immer an den Kindergärten und an Schulen gespart. Und es ist auch nicht so, dass für Frühförderung viel ausgegeben wird und für Spielplätze wenig, nein, es wird für Kinder im Gesamten weniger ausgegeben, als es unsere Gesellschaft vertragen könnte. Alles was wir heute für Kinder tun, wird noch in 70 Jahren unsere Gesellschaft prägen. Wir sollten den Kindern mehr Freizeit und Freiheit lassen zum Spielen.

Bäume zum Klettern, Bäche zum Matschen sind in unseren Städten kaum zu finden. Haben Kinder auf dem Land Ihrer Beobachtung nach tendenziell bessere Möglichkeiten, um sich in natürlicher Umgebung zu erproben?

Beltzig: Theoretisch ja, aber praktisch auch wieder nein. Auf dem Land haben die Kinder genug andere Möglichkeiten und sie könnten überall spielen, aber die Eltern haben Angst. Die Kinder gehen auch nicht mehr in den Wald. Ich habe hier auf dem Dorf einen Spielwald, und Kinder und Schüler kommen dann auch dahin und sind ganz begeistert, aber das braucht seine Zeit, weil die Kinder im Wald eigentlich den Harry Potter und Herr der Ringe und Fantasietiere suchen. Sie werden durch das ganze Computerzeug überfüttert mit vermeintlicher Fantasie, aber dass sind eigentlich nur Dekorationsgegenstände. Ich sehe da zwischen Land und Stadt gar nicht so große Unterschiede.

Sofern die Bereitstellung von Spielraum und -plätzen als öffentliche Aufgabe verstanden wird, sollte es darauf ankommen, solche Angebote zu machen, die von den Kindern tatsächlich angenommen werden. Woran sollten die Planer in Städten und Gemeinden sich in dieser entscheidenden Frage orientieren?

Beltzig: Das ist eine ganz schwierige Frage, weil wir leider keine Ausbildungsgänge für Spielplatzentwurf haben. Der Spielplatz ist als Erstes ein urbanes Element, wo nicht so sehr die pflanzliche oder gestalterische Dekoration im Mittelpunkt steht, sondern das Soziale. Ohne Freunde macht’s auf dem Spielplatz keinen Spaß. Wie lange wird das Kind auf dem Spielplatz bleiben? Zehn Minuten oder zwei Stunden? Wie ist das soziale und räumliche Umfeld? Jeder Spielplatz ist individuell von den äußeren und den sozialen Einflüssen abhängig, deswegen kann ich so generell keine Ratschläge geben.

Welche Art von Spielgeräten liegt derzeit im Trend?

Beltzig: Eine Zeitlang waren Holzspielgeräte besonders gefragt, dann kamen bewegungsaktive Geräte und im Augenblick geht es wieder zurück zu Stahlgeräten, die lange halten, die rostfest sind, keine Pflege benötigen und möglichst noch knatschbunt sind …

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Beltzig: Das kommt daher: Im Baurecht ist ein Spielplatz ab einer gewissen Zahl an Wohneinheiten vorgeschrieben. Die Kommunen müssen den Spielplatz bauen. Und weil es Zwang ist, mag manche Kommune geneigt sein, den Spielplatz vor allem als Belastung zu sehen und sich damit begnügen, ihr Soll zu erfüllen mit möglichst langweiligen Spielgräten, die ewig halten, wenig Kinder anziehen und wenig Ärger machen. Das hört sich böse an, ist aber oft so. Denn Kinder brauchen keinen Spielplatz. Wir Erwachsene brauchen ihn, weil wir die Kinder nicht überall spielen lassen wollen. Der Spielplatz ist eigentlich ein Abstellplatz für Kinder, und deswegen hat er auch dieses Negative. Und deswegen sehen viele Gemeinden den Spielplatz nicht als Möglichkeit, wo sie Geld bekommen oder einsetzen können, um einen urbanen Schwerpunkt zu setzen. Ein solcher Platz wäre nämlich ein Treffpunkt für alle. Und er wäre groß genug, dass die Halbstarken, die da hinten spielen, mich hier vorne gar nicht stören.

Lässt sich eine Entwicklungsrichtung in der Konzeption von Spielflächen erkennen, zum Beispiel Abenteuerspielplätze oder Themenspielplätze, oder dass verstärkt versucht wird, das Element Wasser einzubinden?

Beltzig: Leider nicht als Trend, aber immer wieder werden solche Plätze gebaut. Das hat es früher auch schon gegeben. Das Konzept ist, dass man sehr vielseitige Möglichkeiten hat. Wasser-Matsch-Spielplätze sind wunderbar, da kann ich die Umwelt erleben und kann Kreativität entwickeln und vielleicht mal eine kleine Überschwemmung machen. Wo kann ich heute noch irgendwo matschen? Ein Beispiel: Ich kenne einen schönen Spielplatz, der gerade eröffnet wurde, und am Rand der Baustelle war noch eine Pfütze. Die Kinder haben dann im Matsch gespielt und nicht auf dem neuen Spielplatz.

Worauf legen Sie in der Gestaltung Wert?

Beltzig: Ich möchte, dass Spielplätze mit Erdwellen oder Hügeln umgeben sind. Zum einen ist das geräuschdämpfend, zum anderen gibt das dem Kind auch ein Geborgenheitsgefühl und außerdem ist der Spielbereich nicht rundum einsichtig. Kinder wollen nicht überall beobachtet werden. Und ganz wichtig: Jeder Ort hat seine eigene Atmosphäre, die ich verbessern oder die ich dämpfen kann, die mich zur Ruhe bringt oder die mich kribbelig macht. Wir müssen möglichst individuelle Atmosphärenräume schaffen. Der Spielplatz soll zum Verweilen einladen.

Und der Sicherheitsaspekt?

Beltzig: Ich höre ja ganz gut! Ich kann auf 50 bis 80 Meter durchaus Spielkrach von einem Gefahrenschrei unterscheiden. Das Beobachten verleitet die Eltern ja dazu, sich ständig zu Wort zu melden: Pass auf! Mach dich nicht dreckig! Fang jetzt nicht an zu streiten! Lass das! Und mit jedem Wort zerstören wir eine Spielsituation. Auch der Streit ist ein ganz wichtiger sozialer Vorgang, den man lernen und trainieren muss. Ich versuche die Sitzecken, die ich brauche für die Mütter oder auch die Rentner, mit dem Rücken zum eigentlichen Spielbereich zu platzieren. Sie sollen konzentriert sein auf den kleinen Sandkasten, wo die Zwei- und Dreijährigen spielen, aber der Vier- oder Fünfjährige soll schon außer Sichtweite sein.

Viele Kinder leiden heute an Bewegungsmangel. Was halten Sie davon, mit elektronischen Modulen ausgestattete Geräte auf dem Spielplatz aufzubauen, um Kinder so ins Freie und zur Bewegung zu animieren?

Beltzig: Das hat es vor Jahren einmal gegeben und ist total in die Hose gegangen. Nur so lange wie das neu ist, interessiert das die Kinder. Außerdem waren die Geräte sehr empfindlich. Diesen Effekt, dass ich irgendetwas tue und erreiche damit etwas anderes, kann ich mechanisch genauso erreichen, ich brauche dazu keine Elektronik. Die Mechanik ist frostfest und hält auch 70 Grad Celsius im Sommer aus.

Womöglich müssen die Spiele gänzlich mobil werden wie aktuell das Smartphone-Spiel„Pokémon Go“ …

Beltzig: Wie ist das: Ich hab mein Handy, guck darauf und guck die Umwelt gar nicht mehr an, sondern suche mit diesem Programm! Wir werden mit diesen elektronischen Instrumenten realitätsverlustig, das ist nicht gut. Wir haben die große Diskussion über zu wenig Bewegung, aber es ist nicht so, dass das Problem notgedrungen durch das Spielen gelöst werden muss. Der Spielplatz kann nicht auffangen, was durch das falsch verstandene Leistungsprinzip in der Schule versäumt wird. Sport ist Leistung, die mit einem Gewinner 20 Verlierer macht. Aber es gibt doch Bewegungs-Sport-Spiele, wo es keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt, und jeder hat einen kleinen Effekt. In den 1980er-Jahren gab es, aus den USA kommend, „New Games“, Spiele ohne Verlierer. Aber das ist wieder eingeschlafen, weil es nicht finanziell nutzbar ist wie zum Beispiel bei Sportveranstaltungen das Eintrittsgeld. Unser Sport ist eine reine Geschäftssache. Wir sollten bewegungsaktive Schulen und Kindergarten haben. Es ist eine Quälerei, ein Kind stundenlang stillsitzen zu lassen.

Die Einbindung interessierter Anwohner in die Spielplatzpflege könnte die Unterhaltskosten für die Gemeinde senken …

Beltzig: Das ist auch eine ganz heikle Sache. Wir hatten solche Spielplatz-Paten, die sich dann aber oft wie ein Sheriff gefühlt haben. Die haben genau das Gegenteil dessen bewirkt, was man sich erhofft hatte. Wenn wir den Gedanken des Spielplatz-Paten wieder aufleben lassen wollen, dann sollten wir auf keinen Fall Einzelpersonen ansprechen, sondern Vereine. Der einzelne Spielplatz-Pate ist nach ein, zwei Jahren ausgebrannt. Im Verein geht das kontinuierlich, und es bedeutet Werbung für den Verein. Da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, und es gibt viele Vereine, die so etwas machen könnten, Freiwillige Feuerwehr, Gartenbauverein, Handwerkerverein, Fußball- und Sportverein. Das Ganze sollte aber nicht so sehr aus dem Blickwinkel des Kostensparens gesehen werden. Das Ziel wäre, dass die Leute den Spielplatz mehr akzeptieren, seinen Wert erkennen, sich für Veränderungen einsetzen, so dass wir schließlich einen Bürgerplatz haben.

Interview: Jörg Benzing

Zur Person: Der Designer Günter Beltzig (Jg. 1941) aus Hohenwart (Bayern) entwickelt, plant und gestaltet Spiel- und Bewegungsgeräte und -räume für unterschiedliche Zielgruppen

Info: Eine Checkliste von Günter Beltzig für die Spielplatzplanung finden Sie hier